Glaub nicht es sei vorbei
schiere Verschwendung von Arbeitskraft war. Außerdem war Montagmorgen. Die Leute mussten wieder zur Arbeit gehen. Ein paar würden wahrscheinlich später kommen, und nach Feierabend würden bestimmt wieder mehr Leute hier sein.
Normalerweise wäre sie hinter der Theke im 7-Eleven, aber sie hatte sich eine Woche Urlaub genommen. Voriges Jahr hatten sie und ihr Mann Alvin gemeinsam Urlaub genommen. Sie waren in den Kings-Island-Vergnügungspark gefahren und hatten sich drei Tage lang wie die Kinder aufgeführt. Aber sogar diese bescheidene Reise hatte sie finanziell weiter zurückgeworfen, als sie erwartet hatten. Dieses Jahr hatte Alvin sich seinen Urlaub im Krankenhaus, wo er als Pfleger arbeitete, streichen lassen. Er machte außerdem auch noch andauernd Überstunden, weil in drei Monaten das Baby kommen sollte und sie daher dringend Geld brauchten.
Amy zog sich einen Becher Kaffee aus dem Automaten und rieb sich den Rücken. Sie hatte nicht gut geschlafen. Das tat sie nie, wenn Alvin nicht neben ihr lag, aber er hatte Nachtschicht gehabt. Er hatte ihr versprochen, im Herbst seine Schichten zu ändern. Sie lächelte. Dann würden sie einen kleinen Jungen haben.
Eine Frau stand am Kopierer und vervielfältigte Flugblätter mit Todds Foto. Sie wandte sich zu ihr um: »Alles in Ordnung?«
»Ja. Nur ein bisschen müde heute Morgen.«
»Sie sollten sich setzen. Ich weiß noch gut, was es heißt, hochschwanger zu sein — ich war's zweimal. Meine Beine und Füße waren immer geschwollen und machten mir sehr zu schaffen.«
Amy blickte auf ihre schlanken Beine und schmalen Füße in den weißen Turnschuhen.. »Gott sei Dank bin ich davon verschont geblieben.«
»Tja, bis jetzt. Und diese Hämorrhoiden! Und hinterher die Schwangerschaftsstreifen, ach du lieber Gott!«, sagte die Frau und wandte sich lachend wieder dem Kopierer zu. Das klang ja, als würde die sich freuen, wenn ich geschwollene Beine und Hämorrhoiden und Schwangerschaftsstreifen bekäme, dachte Amy gekränkt. Sie wusste, dass sie zu empfindlich war, aber sie konnte es nicht ändern. Sie war nun einmal zart besaitet und leicht zu kränken. Vielleicht war es das, was sie zu Alvin hingezogen hatte. Sie hatten alle beide eine schwere Kindheit gehabt. Sie trugen alte Wunden mit sich herum und taten sich schwer in der Welt. Sie klammerten sich aneinander, um sich gegenseitig den Rücken zu stärken, jedoch blickte Amy weitaus optimistischer in die Welt als Alvin.
Das Telefon klingelte, und Amy stellte rasch ihren Becher ab, griff sich Stift und Papier und hob den Hörer ab. Eine Frau berichtete, sie habe Todd Ryan in Begleitung eines kahlköpfigen Mannes gesehen, in einem Reisebus nach Cleveland.
»Wann war das, Ma'am?«, fragte Amy, wobei sie versuchte, sich ihre Erregung nicht anmerken zu lassen.
»Donnerstagnacht. «
»Sagten Sie Donnerstag?«
»Jawohl, das sagte ich. Ungefähr gegen acht Uhr. Der Junge sah aus, als hätte er panische Angst.«
Amys freudige Erregung war im Nu vorbei. »Ma'am, Todd Ryan ist erst Freitagnacht verschleppt worden.«
»Ich weiß doch, was ich gesehen habe«, sagte die Frau mit Nachdruck. »Wollen Sie etwa behaupten, ich hätte gelogen?«
»Aber nein, Ma'am. Ich dachte nur, sie hätten sich vielleicht im Tag geirrt.«
»Mitnichten.«
»Sind Sie sicher, dass es am Donnerstag war?«
»Ja. Sind Sie taub?«
Amy seufzte und fragte die Frau nach ihrem Namen und ihrer Telefonnummer. Chief Garrett hatte die freiwilligen Helfer instruiert, sich diese Informationen auch dann zu notieren, wenn der Anrufer offensichtlich ein Spinner war. Nachdem sie aufgelegt hatte, kam Alvin herein. Er sah heute besonders müde aus, regelrecht ausgezehrt. Sein glattes dunkles Haar, das dringend geschnitten werden musste, hing ihm wirr in die Stirn, und seine Augen hinter der Brille waren rot gerändert.
»Du meine Güte, Alvin. Du siehst ja schrecklich aus!«, entfuhr es Amy.
»Es war eine lange Nacht. Ich hatte dich angerufen, bevor ich aus dem Krankenhaus ging, und als ich dich nicht erreichte, nahm ich an, dass du hier seist.«
»Ich dachte, du wärst daheim, bevor ich weggehen würde.« Alvin maß 1.78, und sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um ihn auf die Wange zu küssen. »Bist du sicher, dass du in Ordnung bist?«
Er lächelte flüchtig. »Ich schon. Aber hast du das mit Skeeter Dobbs noch nicht gehört?« Sie schüttelte den Kopf. »Er ist tot.«
»Ach.« Amy war 22, hatte jedoch die Stimme eines kleinen Mädchens.
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