Glaub nicht es sei vorbei
ihre Abneigung leidenschaftlich.
Als sie das Zentrum betrat, waren fünf Männer und zwei Frauen damit beschäftigt, Flugblätter mit Todds Foto zu kopieren, Faxe zu verschicken, Anrufe zu beantworten und miteinander zu plaudern. Eine schwangere junge Frau mit kindlichen Zügen kam lächelnd auf Rebekka zu. »Sie scheinen neu hier zu sein!«
»Genau. Ich würde aber trotzdem gerne helfen. Zeigen Sie mir, was ich tun kann?«
»Gerne! Wir wissen Ihre Hilfe sehr zu schätzen, und Molly Ryan bestimmt auch. Ist das nicht eine schreckliche Sache?«
»Ja, entsetzlich.«
»Haben Sie Kinder?«
»Noch nicht.«
»Ich auch noch nicht.« Sie kicherte. »Aber bald. Nur noch drei Monate! Ich kann es nicht mehr erwarten.« Sie reichte ihr eine kleine Hand. »Ich bin Amy Tanner.«
»Hallo. Rebekka Ryan.«
Amy schüttelte ihre Hand und runzelte dann die Stirn. »Ryan? Sind Sie mit Molly verwandt?«
»Wir sind Cousinen.«
»Oh! Rebekka Ryan. Du liebe Güte!« Rebekka konnte an Amys großen blauen Augen sehen, wie ihr ein Licht aufging. Sie hatte von ihr und ihren außersinnlichen Wahrnehmungen gehört. Rebekka hatte plötzlich das Bedürfnis, sich vor dem Mädchen mit dem niedlichen Gesicht zu rechtfertigen. »Nett von Ihnen, extra herzukommen! Sie können fürs Erste ans Telefon gehen und Anrufe entgegennehmen. Also, Chief Garrett möchte, dass wir uns den Namen des Anrufers notieren ... «
Amy plauderte drauflos, wobei sie jede Anweisung wiederholte, als wäre Rebekka leicht begriffsstutzig oder viel zu ätherisch, um sich mit der Realität zu befassen. Als Rebekka ihren ersten Anruf entgegennahm, bemerkte sie, dass Amy sie mit einer Mischung aus Neugierde, Aufregung, Ehrfurcht und Argwohn beobachtete. Nachdem sie aufgelegt hatte, vergewisserte sich Amy lächelnd, dass Rebekka die Nachricht auch ordnungsgemäß notiert hatte, bevor sie zu ihrem Platz zurückeilte. Die Betulichkeit des Mädchens ging ihr zwar auf die Nerven, aber sie wusste, dass Amy ihr nur helfen wollte und ihre Pflichten entsetzlich ernst nahm.
Eine Frau brachte ihr eine Tasse Kaffee und wies sie auf den Tisch mit den Stärkungen hin. Ein Mann zeigte ihr, wie man frisches Papier in den Kopierer einlegte. Sie bedankte sich, obwohl sie seit 15 Jahren einen Kopierer zu bedienen wusste. Im Großen und Ganzen hielten sich die Freiwilligen jedoch eher von ihr fern. In all den Jahren in New Orleans hatte sie schon beinahe vergessen, wie es war, eine Attraktion zu sein — man wurde entweder bestaunt oder gefürchtet. Kein Wunder, dass sie sich als Teenager so elend gefühlt hatte, dachte sie. Kein Wunder, dass sie nie in Erwägung gezogen hatte, wieder in Sinclair zu leben.
Fünfzehn Minuten später klingelte erneut ihr Telefon. Ein älterer Mann meldete die Anwesenheit eines fremden Kindes im Nachbarhaus. »Es ist ein Junge, etwa im Alter dieses Todd«, sagte er. »Ich glaube, der Bursche nebenan, das ist auch so einer, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Es tut mir Leid, Sir, aber ich verstehe nicht ganz. So ein was?«
»Na, Sie wissen schon, so ein Schwuler. Sieht gut aus, aber auf eine weibische Art, läuft immer in irgendwelchen schrillen Sachen rum und hatte meines Wissens noch nie ein Mädchen in der Wohnung. Dann taucht aus heiterem Himmel dieser Junge bei ihm auf. Behauptet, er sei sein Neffe.«
»Aber Sie glauben ihm nicht?«
»Von einem Neffen war vorher überhaupt keine Rede.«
»Unterhalten Sie sich oft mit diesem Mann?«
»Nur wenn's unbedingt sein muss. Sagen Sie mal, was soll die Fragerei, ich versuche nur, Ihnen zu helfen.«
Rebekka erinnerte sich, dass sie kein Polizist war und dass ihre Aufgabe nicht darin bestand, brauchbare von. unbrauchbaren Informationen zu trennen. Amy hatte ihr das wenigstens dreimal gesagt. Und nur weil sie das Gefühl hatte, dass dieser Mann seinen Nachbarn aufgrund dessen tatsächlicher oder imaginärer sexueller Neigungen nicht leiden konnte, durfte sie seinen Hinweis nicht einfach vom Tisch kehren. Womöglich waren seine Beobachtungen richtig und dieser neue Neffe war tatsächlich Todd.
Allerdings schwand ihre Hoffnung, als man ihr den Jungen als blauäugig und nicht in der Lage, sich deutlich zu artikulieren, beschrieb. Aber er könnte trotzdem jemandes vermisstes Kind sein. Rebekka schrieb sich gewissenhaft den Namen, die Adresse und die Telefonnummer des Mannes auf und versprach zweimal, seine Information an die Polizei weiterzuleiten.
Amy kam ein zweites Mal, um sich zu vergewissern, wie es lief.
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