Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glaub nicht es sei vorbei

Glaub nicht es sei vorbei

Titel: Glaub nicht es sei vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlene Thompson
Vom Netzwerk:
war. Hereingekommen war er allerdings nur, wenn er ein wenig Geld gespart hatte, um sich Medizin gegen sein Magengeschwür zu kaufen.
    Am Sonntagmorgen war Matilda in der Drogerie gewesen. Sie hatte jeden Tag geöffnet, weil die große Drogerie in der Einkaufspassage dem Geschäft geschadet hatte und Matilda noch immer von ihrem Vater zur Rechenschaft gezogen wurde, der Ende achtzig und im Pflegeheim war. Jeden Monat bestand er darauf, die Bücher einzusehen, und wenn die Einnahmen deutlich zurückgegangen waren, wurde er fuchsteufelswild oder fing an zu weinen. Einmal war er sogar ausgerissen und hatte versucht, in das baufällige Baumhaus zu klettern, das Matilda vor 50 Jahren mit ihrer Schwester gebaut hatte. Er hatte sich prompt die Hüfte gebrochen und sich erst nach drei Monaten wieder erholt. Matilda brachte es einfach nicht fertig, die Bücher zu frisieren, um weitere Katastrophen dieser Art zu verhindern. Ihr Vater war sehr fromm, und der Gedanke, ihn zu belügen, erschien ihr wie eine Gotteslästerung. Stattdessen öffnete sie den Laden auch sonntagsvormittags, ohne es ihm zu sagen. Die Läden in der Einkaufspassage öffneten sonntags erst um ein Uhr nachmittags, sodass das übrige Geschäft ihr zufiel.
    Als sie Skeeter zum letzten Mal lebend gesehen hatte, war er um zehn Uhr in heller Aufregung zu ihr in den Laden gestürmt und hatte gerufen: »Tildy! Tildy, ich muss dir was erzählen!«
    »Ich habe nicht viel Zeit.« Sie war gerade dabei, Pillen abzuzählen. Das beherrschte sie mit maschinengleicher Geschwindigkeit. »Mr. Scarpatti wird sich in fünf Minuten seine Medizin abholen, also erzähl es mir, bevor er kommt.«
    »Es geht um Großvater! Er war drüber!«
    »So, und deshalb schreist du hier herum, Skeeter? Du stiehlst mir meine Zeit mit diesem Unsinn. Dein Großvater ist tot.«
    Skeeter baute sich vor ihr auf und sagte in würdevollem Ton: »Ich weiß, dass er tot ist. Er ist jetzt ein Geist.«
    Matilda hatte entnervt die Augen verdreht, sich dann aber zusammengenommen. »Tut mir Leid, Skeeter. Natürlich ist er ein Geist. Du sagst, er sei drüber gewesen. Wo denn drüber?«
    »Über der Präsidentensuite.«
    Matilda hatte innegehalten mit Zählen. »Du meinst, er war auf dein Dachboden? Vom Möb ... Hotel?«
    »So wahr ich hier vor dir stehe.« Und dann hatte er erzählt, dass der Geist seines Großvaters auf dem Dachboden umhergegangen war und aus dem Fenster gesehen hatte, das allererste Mal. »Und ich weiß einfach nicht, was ich davon halten soll, Tildy.«
    Matilda hatte ihn prüfend angesehen. Er war nicht betrunken gewesen. Und abgesehen von seiner Einbildung, er sehe seinen Großvater jeden Abend aus dem obersten Stockwerk des Möbelhauses springen, hatte er sich ihres Wissens nie Geschichten zusammengesponnen. Dazu fehlte es ihm an Phantasie. »Skeeter, bist du sicher, dass du letzte Nacht jemanden in dem Gebäude gesehen hast?«
    »Großvater. Ich hab's dir doch erzählt. Ich bin ganz sicher. Er hat mich ganz schön erschreckt. Was hältst du davon, Tildy?«
    »Ich weiß es nicht«, hatte sie steif gemurmelt und sich wieder an den Samstag erinnert; sie war wegen der Abrechnung ziemlich lange im Geschäft gewesen. Obwohl sie neuerdings bis zehn Uhr abends geöffnet hatte, waren die Einnahmen noch immer zu niedrig. Sie hatte schon daran gedacht, die Preise zu erhöhen. Dann hatte sie sich die Gesichter ihrer älteren Kunden vorgestellt, Freunde ihres Vaters, die auch ihr stets die Treue gehalten hatten. Nicht alle von ihnen waren ausreichend versichert und bekamen ihre Ausgaben für Medikamente ersetzt. Nein, sie würde die Preise auf keinen Fall erhöhen. Höchstens jene für Kosmetika ...
    Um 22.45 Uhr hatte Matilda in ihre Bücher gestarrt und leise gestöhnt. Sie war seit fünf Uhr früh auf den Beinen und seit sieben im Laden gewesen. Ihre Augen brannten, und ihr Kopf tat weh. Sie machte sich Sorgen, nicht etwa, weil die Abrechnung nicht gestimmt hätte, sondern weil sie nicht wollte, dass ihr Vater sich wieder aufregte, wenn er am Ende des Monats die Bücher einsah. Sie betete ihn an. Seine Anerkennung bedeutete ihr alles, und der Arzt hatte ihr gesagt, dass er das Jahr nicht überleben würde.
    Matilda war an die Ladentür gegangen und hatte hinausgesehen. Skeeter saß nicht an seinem gewohnten Platz auf ihrer Treppe. Das Gewitter hatte nachgelassen, und er war bummeln gegangen. Zwei Straßen weiter waren Kinos und Kneipen, die einzigen Orte, wo zu dieser Zeit noch Leute verkehrten.

Weitere Kostenlose Bücher