Glaub nicht es sei vorbei
Futter, glatt, golden, selbstvergessen.
Todd war in einem Augenblick unbedachter Leidenschaft entstanden. Als Molly dann erfahren hatte, dass sie schwanger war, hatte sie ihre Unbesonnenheit nur zum Teil bereut. Sie hatte Todds Vater geliebt. Er sie nicht — er war gebunden, und sie wollte sein Glück nicht gefährden —, aber auf diese Weise würde ein Teil von ihm immer bei ihr sein. Jemand, den sie liebhaben konnte, der sie nicht im Stich ließ wie ihre Eltern und Onkel Patrick und Rebekka, die sich nach New Orleans abgesetzt hatte. Mit zehn Jahren hatte sie verstanden, dass Patrick sie nicht absichtlich verlassen hatte. Und mit 19 hatte sie Rebekkas Gründe, Sinclair für immer zu verlassen, akzeptiert, aber wie sehr sie ihr damit wehgetan hatte, hatte sie Rebekka bis heute verschwiegen. Rebekka hatte Molly immer für stark gehalten, weil diese es so gewollt hatte. Wer konnte schon einen Schwächling leiden, und Molly sehnte sich verzweifelt danach, geliebt und angenommen zu werden. Tief im Herzen hatte sie sich immer wie ein verlassenes Kind gefühlt, das alleine im Dunkeln zurückgeblieben war und weinte.
Und dann war Todd gekommen. Anderswo wurden ledige Mütter vielleicht nicht schief angesehen. In Sinclair war das anders. Viele Leute hier waren der Ansicht, sie sei »entehrt«. Ihr hatte das nichts ausgemacht, aber ohne Suzannes Hilfe hätte sie es wohl kaum geschafft. Sie hatte Angst gehabt, nicht etwa, weil sie mittellos war, wie viele dachten — so gewissenlos waren ihre Eltern nun auch wieder nicht —, sondern weil sie völlig auf sich gestellt war. Ihre Eltern hatten aufgebracht reagiert, aber nicht etwa aus moralischen Gründen, sie hatten lediglich befürchtet, von ihr in die Pflicht genommen zu werden. Sie sahen ihren Enkel ein paar Mal im Jahr, das reichte ihnen völlig. Sie wollten nicht gern daran erinnert werden, dass sie alt genug waren, um Großeltern zu sein.
Molly hatte auf ihrem Kind bestanden, ihren Collegeabschluss gemacht und dann, dank Franks Fürsprache, eine gut bezahlte Stelle bei Grace Healthcare angetreten. Ihr Leben hatte aus Arbeit und Todd bestanden. Er hatte ihr Liebe, Seelenfrieden, Freude und Erfüllung gegeben.
Und jetzt war er fort.
»Verdammt, Becky, tu doch was!«, entfuhr es Molly. Sie wusste, dass sie unfair war. Sie wusste auch, dass Rebekka ihr Bestes tat. Aber falls Todd nicht zurückkommen sollte, würde sie ihre Cousine mit anderen Augen ansehen. Auch das wusste sie. Jahrelang hatte sie Suzanne für unvernünftig, ja, grausam gehalten, weil sie zum Teil Rebekka die Schuld gab an Jonnies Tod. Und jetzt empfand sie selbst ganz ähnlich. Sie machte Rebekka für Todds Leben verantwortlich. Sie hasste sich dafür, aber sie konnte nicht anders.
3
Rebekka streifte ziellos durch Haus und Garten, und Sean trottete neben ihr her. Sie wollte es sich nicht eingestehen, aber sie hoffte auf die nächste Vision, ein zweckloses Ansinnen. In der Zwischenzeit überlegte sie fieberhaft, wie sie sich nützlich machen könnte. Ihr fiel jedoch nur das Zentrum der freiwilligen Helfer ein.
Sie kam gegen ein Uhr nachmittags dort an, parkte den Thunderbird ihrer Mutter um die Ecke und ging auf das Gebäude zu, das einmal Fanny's Fine Fabrics beherbergt hatte. Es gab keine Fanny. Ein gewisser Stanford aus Baltimore hatte die kleine Firma spontan gekauft, nachdem er eine Woche in Sinclair die Ferien verbracht und dann fälschlicherweise angenommen hatte, dass die Frauen in West Virginia nur Gingham, Kattun, Denim und andere wenig eleganten, dafür aber zweckdienlichen Stoffe zu schätzen wüssten. Auch die rustikalen Muster hatten ihn begeistert. So hatte sich sein Laden zwei Jahre lang über Wasser gehalten, drei Geschäftsführer verschlissen, die sich vergebens mit dem uneinsichtigen Stanford herumgezankt hatten, bis er endlich das Handtuch geworfen und das Gebäude zu einen Schleuderpreis an Frank Hardison verkauft hatte.
Frank hätte sich wohl auch nicht träumen lassen, welch traurigem Zweck die Räumlichkeiten einmal dienen müssten, dachte Rebekka. Und doch hatte er schnell reagiert, sodass die freiwilligen Helfer in weniger als zwölf Stunden nach Todds Verschwinden gewusst hatten, was jeder von ihnen zu tun hatte. Es wäre sehr hilfreich gewesen, wenn Stadt- und Bezirkspolizei ihre Bemühungen koordiniert hätten, aber der Bezirkssheriff war ein grober Klotz und stellte sich grundsätzlich quer. Rebekka hatte Sheriff Martin Lutz noch nie leiden können, und er erwiderte
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