Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
geradlinig, offen und ehrlich.
»Nein, nein«, erwiderte er. »Es ist nur so … ich hab ihr noch nicht … Also, ich hab ihr nichts von dir erzählt.«
»Wie bitte? Du hast ihr nicht gesagt, dass du geschieden bist?«
»Doch, das weiß sie natürlich. Aber ich hab ihr nicht gesagt, dass wir … na ja, dass wir immer noch unter einem Dach wohnen.«
»Holly wusste es doch. Sie schien kein Problem damit zu haben. Heutzutage wohnen viele Leute in WG s.«
»Ja, sicher. Aber Sarah … Bei ihr war es irgendwie anders. Ich wollte das Risiko einfach nicht eingehen.« Er nahm die Computerausdrucke und legte sie zu einem ordentlichen Stapel zusammen. »Ich bin schon lange aus der Übung, Manette, das weißt du ja wohl. Bei den Frauen, die ich kennenlerne, lasse ich mich einfach von meinem Gefühl leiten.«
»Davon bin ich überzeugt«, entgegnete Manette schnippisch.
Eigentlich war sie zu ihm gegangen, um mit ihm über Tim und Gracie zu reden und über das Gespräch mit ihrem Vater. Doch jetzt schien es ihr auf einmal nicht mehr der rechte Moment. Und Freddie hatte ja eben gerade gesagt, dass man sich am besten auf sein Gefühl verlassen sollte. Sie stand auf.
»Dann erwarte ich dich also heute Abend nicht«, sagte sie. »Pass auf dich auf, okay? Es würde mir leidtun, wenn … ich weiß nicht … wenn dir etwas passieren würde.« Ehe er etwas darauf erwidern konnte, verließ sie das Zimmer und machte sich auf die Suche nach ihrem Bruder. Freddie führte sein Leben und sie das ihre, sagte sie sich, und es wurde allmählich Zeit, dass sie es Freddie gleichtat und ein bisschen Farbe in ihr Leben brachte. Allerdings wusste sie noch nicht so recht, wie sie das anstellen sollte. Sich in die unbekannte Welt des Internet-Dating zu stürzen, konnte sie sich jedenfalls nicht vorstellen. Mit einem wildfremden Mann ins Bett gehen, um festzustellen, ob man zusammenpasste? Sie schüttelte sich. Da konnte sie sich ja gleich einem Serienmörder an den Hals werfen, dachte sie. Oder vielleicht hatte sie auch zu viele Krimis im Fernsehen gesehen.
Sie fand Nicholas in der Versandabteilung, in die er sich mittlerweile hochgearbeitet hatte. Vorher hatte er ein halbes Jahr lang Spülkästen, Kloschüsseln und Waschbecken in ihrem tönernen Rohzustand mit Glasur überzogen und sie dann in den riesigen Brennofen geschoben. In der Halle mit dem Brennofen herrschten unerträgliche Hitze und ohrenbetäubender Lärm, aber Nicholas hatte die Etappe erfolgreich durchlaufen. Eigentlich hatte er sich in allen Abteilungen der Firma bewährt, in denen er in den vergangenen zwei Jahren gearbeitet hatte.
Manette wusste, dass er sich vorgenommen hatte, sich in der Firma von der Pike auf hochzuarbeiten. Sie konnte nicht umhin, ihn dafür zu bewundern, auch wenn die Gründe für seine Entscheidung sie ein bisschen beunruhigten. Er nahm doch nicht etwa an, dass ein paar Jahre des Herumwerkelns bei Fairclough Industries mehr zählten als die Jahrzehnte, die sie und Freddie schon in der Firma arbeiteten? Er rechnete doch wohl nicht damit, zum Geschäftsführer ernannt zu werden, wenn sein Vater eines Tages abtrat? Der Gedanke war einfach lächerlich.
Nicholas war gerade dabei, eine Sendung Waschbecken zu überprüfen. Weil das große Tor an der Rampe offen stand, war es kalt in der Halle. Und es war laut, da aus riesigen Lautsprechern Musik von Santana dröhnte, als könnte das den Anwesenden einheizen.
Manette ging auf ihren Bruder zu. Er blickte auf und nickte zum Gruß. Sie musste gegen die Musik anbrüllen, um ihn zu fragen, ob sie kurz reden könnten. »Es dauert noch eine Weile, bis ich Pause habe«, antwortete er.
»Herrgott noch mal, Nick«, schrie sie verärgert. »Du wirst schon nicht gleich gefeuert, wenn du deine Arbeit mal fünf Minuten lang unterbrichst.«
»Ich muss erst die Ladung hier abfertigen. Er wartet darauf.« Mit er war der Lastwagenfahrer gemeint, der herumstand und rauchte und nicht gerade den Eindruck machte, als hätte er es furchtbar eilig loszufahren.
»Ich muss mit dir reden«, insistierte sie. »Es ist wichtig. Frag um Erlaubnis, wenn du es für nötig hältst. Oder soll ich das für dich tun?«
Der Vorgesetzte ihres Bruders kam sowieso gerade an. Er schob sich den Hut in den Nacken, grüßte sie mit »Tag, Mrs. McGhie«, was ihr einen Stich versetzte, obwohl sie ja tatsächlich so hieß. Sie sagte: »Kann ich kurz mit Nicholas reden, Mr. Perkins? Es ist ziemlich wichtig. Eine Familienangelegenheit.« Letzteres fügte
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