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Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)

Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)

Titel: Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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schaffen.
    Und so überraschte er Kaveh, indem er zeitig aufstand und sich fertig machte für die Margaret Fox School, die Sonderschule für unheilbar Verrückte wie ihn. Er stellte alles auf den Küchentisch, was Gracie gern zum Frühstück aß, und machte ihr zum Mitnehmen ein Sandwich mit Tunfischsalat, das er zusammen mit einem Apfel, einer kleinen Tüte Kartoffelchips und einer Banane in eine Tupperdose packte. Sie bedankte sich distanziert würdevoll, woraus er schloss, dass sie immer noch um Bella trauerte. Also ging er, anstatt zu frühstücken, in den Garten, grub die Puppe aus und stopfte sie in seinen Rucksack, um sie mit nach Windermere zu nehmen und dort reparieren zu lassen. Den Puppensarg legte er zurück in das kleine Grab und schaufelte es wieder zu. Dann eilte er ins Haus und stopfte sich noch schnell eine Scheibe Toast mit Marmite in den Mund.
    Solange Gracie mit im Auto saß, sagte Tim kein Wort. Nachdem sie in Crosthwaite, wo sie zur Schule ging, ausgestiegen war, lehnte er sich gegen die Beifahrertür und musterte Kaveh. Er hatte das Bild vor Augen, wie Kaveh es mit seinem Vater trieb, bis die Körper der beiden im Dämmerlicht vor Schweiß glänzten. Dazu brauchte er noch nicht einmal seine Fantasie anzustrengen, denn er hatte die beiden einmal durch den Türspalt beobachtet und gesehen, wie sie in Ekstase aufs Bett gesunken waren und sein Vater heiser gestöhnt hatte, Gott, ja! Der Anblick hatte ihm den Magen umgedreht und mit Abscheu und Hass erfüllt. Aber es hatte auch etwas anderes in ihm berührt, etwas, womit er nicht gerechnet hatte, und einen Moment lang hatte das Blut wie wild in seinen Adern pulsiert. Und deswegen hatte er sich hinterher mit einem Taschenmesser eine Schnittwunde zugefügt und Essig in die Wunde geträufelt, um sein erhitztes Blut von der Sünde zu reinigen.
    Er konnte sich sehr wohl vorstellen, wie alles angefangen hatte. Kaveh war ein gutaussehender Typ, und einem Perversen wie seinem Vater musste er einfach gefallen haben. Selbst wenn Kaveh, wie es nun den Anschein hatte, selbst gar nicht so pervers war.
    Als sie sich Winster näherten, schaute Kaveh Tim kurz an. Offenbar spürte er den Abscheu, den Tim für ihn empfand. »Gut, dass du heute zur Schule gehst«, sagte er ein bisschen steif. »Dein Dad würde sich freuen.«
    »Mein Dad«, sagte Tim, »ist tot.«
    Kaveh erwiderte nichts. Noch einmal schaute er Tim an, aber die Straße war eng und kurvig, und so konnte er wirklich nur einen ganz kurzen Blick riskieren, um einzuschätzen, was Tim als Nächstes tun oder sagen würde.
    »Was dir wohl sehr zupasskommt«, fügte Tim hinzu.
    »Was?«
    »Dass Dad tot ist. Was Besseres konnte dir doch gar nicht passieren.«
    Zu seiner Überraschung bog Kaveh in eine Haltebucht ab und machte eine Vollbremsung. Sie befanden sich mitten im Berufsverkehr, jemand hupte und zeigte Kaveh den Stinkefinger, aber Kaveh bemerkte es nicht, oder vielleicht war es ihm auch egal.
    »Wovon redest du?«, wollte Kaveh wissen.
    »Du meinst, warum es gut für dich ist, dass mein Dad tot ist?«
    »Ganz genau das meine ich. Wovon redest du?«
    Tim schaute aus dem Fenster. Es gab nicht viel zu sehen. Sie standen neben einer Feldsteinmauer, aus der Farnwedel wuchsen wie Straußenfedern an Frauenhüten. Wahrscheinlich gab es hinter der Mauer Schafe, doch die konnte er nicht sehen, nur am Horizont einen Berggipfel mit einer Wolkenkrone.
    »Ich habe dich etwas gefragt«, sagte Kaveh. »Und ich hätte gern eine Antwort.«
    »Ich muss dir keine Fragen beantworten«, entgegnete Tim. »Dir nicht und auch sonst keinem.«
    »Doch, das musst du, wenn du Anschuldigungen erhebst«, sagte Kaveh. »Und genau das hast du getan. Du kannst versuchen, so zu tun, als hättest du es nicht getan, aber damit wirst du nicht weit kommen. Also sag mir gefälligst, was du meinst.«
    »Warum fährst du nicht weiter?«
    »Weil ich es nicht muss.«
    Tim hatte diese Konfrontation herbeigewünscht, jetzt jedoch war er sich nicht mehr so sicher, ob er sie wollte. Er saß allein in einem Auto mit dem Mann, für den sein Vater seine Familie zerstört hatte. War das nicht gefährlich? Ließ nicht die Tatsache, dass Kaveh Mehran es fertiggebracht hatte, an Tims Geburtstag bei ihnen aufzutauchen und die Karten auf den Tisch zu legen, darauf schließen, dass er noch zu ganz anderen Dingen fähig war?
    Nein, sagte sich Tim. Er hatte keine Angst. Denn wenn irgendeiner Grund zur Angst haben musste, dann war es Kaveh Mehran. Der Mann war ein

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