Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
erinnerte ihn an die Sorte Krimis, die an jedem Bahnhof verkauft wurden. Mit Titeln wie Tee im Pfarrhaus und Mord in der Bibliothek. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, warum Valerie plötzlich ein Geständnis ablegen wollte, aber er hatte auch nie verstanden, warum die Figuren in diesen Krimis in aller Seelenruhe im Wohnzimmer oder der Bibliothek saßen, wohl wissend, dass am Ende der Ausführungen des Detektivs einer von ihnen als der Schuldige dastehen würde. Keiner von ihnen verlangte jemals nach einem Anwalt. Das hatte Lynley nie verstanden.
Valerie, die offenbar seine Verwirrung gespürt hatte, beeilte sich, Klarheit zu schaffen. Es sei ganz einfach: Nicht ihr Mann, sondern sie sei diejenige gewesen, die darauf bestanden habe, dass Ian Cresswells Tod genauer untersucht wurde.
Das, dachte Lynley, erklärte allerdings eine ganze Menge, erst recht nach allem, was sie bisher über Faircloughs Privatleben zutage gefördert hatten. Dennoch erklärte es nicht alles. Das Warum harrte immer noch einer Antwort. Warum Valerie? Warum überhaupt? Denn wenn sich herausstellte, dass es Mord gewesen war, dann war der Täter wahrscheinlich unter ihren Angehörigen zu suchen.
Lynley sagte: »Verstehe. Ich weiß nicht, ob das eine Rolle spielt.« Dann berichtete er ihnen von den Untersuchungen im Bootshaus. Alles, was er und Simon St. James dort hatten feststellen können, sagte er, decke sich mit dem Befund des Coroners. Demnach sei Ian Cresswell durch einen tragischen Unfall ums Leben gekommen. Dasselbe hätte jedem passieren können, der das Bootshaus benutzte. Der gemauerte Steg sei uralt und einige Steine darin locker. Die Steine, die sich aus dem Gemäuer gelöst hatten, seien nicht manipuliert worden. Wäre Cresswell aus einem anderen Bootstyp ausgestiegen, wäre er vielleicht nur gestolpert. Aber aus einem Skullboot auszusteigen, sei gefährlicher, weil es schwierig war, dabei die Balance zu halten. Hinzu seien die losen Steine gekommen, und beides zusammen hätte ihn das Leben gekostet. Er habe das Gleichgewicht verloren, sei mit dem Kopf auf die Steinmauer aufgeschlagen, ins Wasser gefallen und ertrunken. Es gebe keinerlei Anzeichen für Fremdeinwirkung.
Jetzt, dachte Lynley, hätte eigentlich ein allgemeines erleichtertes Aufatmen erfolgen müssen. Normalerweise hätte er erwartet, dass Valerie etwas wie »Gott sei Dank!« ausrufen würde. Stattdessen folgte ein langes, angespanntes Schweigen, woraus er schloss, dass der tatsächliche Grund für die Ermittlungen gar nicht Ian Cresswells Tod gewesen war.
Plötzlich ging die Haustür auf, und Mignon Fairclough trat ein, gestützt auf ihren Rollator.
»Freddie, machst du bitte die Tür zu, Darling?«, flötete sie. »Es fällt mir ein bisschen schwer.« Als Freddie McGhie aufspringen wollte, um ihrer Bitte nachzukommen, sagte Valerie scharf: »Ich denke, es dürfte dir nicht schwerfallen, die Tür selbst zuzumachen!«
Mignon legte den Kopf schief und sah ihre Mutter mit hochgezogenen Brauen an. »Also gut«, sagte sie, drehte sich mit ihrem Rollator betont umständlich um und schloss die Tür. »So«, sagte sie dann und wandte sich wieder ihrer Familie zu. »Das ist ja hier der reinste Taubenschlag, meine Lieben. Erst Manette und Freddie à deux . Wie aufregend! Mein Herz klopft bei dem Gedanken, was das alles bedeuten könnte. Dann kommt Nick angerauscht. Und rauscht wieder ab. Und jetzt ist unser gutaussehender Detective von Scotland Yard wieder unter uns und macht uns das Leben schwer. Verzeiht mir die Neugier, Mum und Dad, aber bei allem, was hier drinnen vor sich geht, habe ich es draußen keine Minute länger ausgehalten.«
»Das trifft sich gut«, sagte Valerie. »Denn wir reden gerade über die Zukunft.«
»Darf ich fragen, über wessen Zukunft?«
»Über unser aller Zukunft. Einschließlich deiner. Ich habe heute erfahren, dass dein monatlicher Unterhalt vor einiger Zeit beträchtlich erhöht wurde. Damit ist es jetzt vorbei. Du bekommst ab sofort überhaupt keinen Unterhalt mehr.«
Mignon schaute sie verdattert an. Damit hatte sie offenbar nicht gerechnet. »Aber Mum, meine Liebe … ich bin behindert. In meinem Zustand kann ich mich auf keine Arbeitsstelle bewerben. Du kannst mir also nicht einfach …«
»Da irrst du dich gewaltig, Mignon. Ich kann und ich werde.«
Mignon sah sich um, als suchte sie nach dem Grund für diese unerwartete Schicksalswende. Ihr Blick fiel auf Manette. »Du kleines Miststück«, sagte sie mit zusammengekniffenen
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