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Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)

Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)

Titel: Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Bescheid wusste. Ja, es schien ihm mehr als unwahrscheinlich. »Ich vermute, dass Ian Cresswell Bescheid wusste«, sagte er.
    Sie hob den Kopf. »Ian?«, fragte sie verdattert. »Unmöglich. Woher soll er davon gewusst haben?«
    »Als Homosexueller, der sich noch nicht geoutet hatte, führte er ein Doppelleben. Er wird mit Menschen wie Ihnen in Kontakt gekommen sein. Es wird ihm leichter gefallen sein als anderen …«
    »Halten Sie mich etwa für einen Homosexuellen?«, fragte sie. »Für einen Transvestiten?« Dann schien ihr einiges zu dämmern. »Sie glauben, ich hätte Ian umgebracht, nicht wahr? Weil … Weil er etwas herausgefunden hatte? Weil er mir gedroht hat, er würde mich verraten, wenn … wenn was? Wenn ich ihm kein Geld gab? Was ich natürlich nicht hatte? O Gott, ich wünschte, es wäre so gewesen.«
    Lynley begriff überhaupt nichts mehr.
    »Ian wusste nichts«, sagte sie. »Niemand hier weiß etwas.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass auch Nicholas nichts weiß?« Lynley sah sie ungläubig an. Er versuchte, sich einen Reim auf das zu machen, was sie ihm zu sagen versuchte, aber das bedeutete, ein Territorium zu betreten, das ihm gänzlich unbekannt war. Er kam sich vor wie ein Blinder, der in einem Raum voller unförmiger Möbel nach einer Geheimtür tastete. »Falls ja, verstehe ich nicht, was Sie meinen. Wie kann es sein, dass er nichts weiß?«
    »Ich habe es ihm nie gesagt.«
    »Aber er hat schließlich Augen im Kopf …« Und dann begriff Lynley. Wenn sie Nicholas Fairclough nie von Santiago Vasquez del Torres erzählt hatte und wenn Nicholas Faircloughs Augen es ihm nie enthüllt hatten … dann konnte das nur eins bedeuten.
    »Ja«, sagte sie. Offenbar hatte sie seine Gedanken gelesen. »Nur meine Eltern und meine Brüder in Argentinien wissen davon. Und eine Kusine, Elena María. Elena María hat von Anfang an Bescheid gewusst. Schon als wir noch Kinder waren.« Sie schob sich eine Strähne aus dem Gesicht, eine typisch weibliche Geste, was Lynley in Verlegenheit brachte, wie sie es vielleicht beabsichtigt hatte. »María und ich haben zusammen mit Puppen gespielt, und als wir größer wurden, hat sie mir ihre Kleider geliehen und mich ihr Schminkzeug benutzen lassen.« Alatea schaute aus dem Fenster, dann wandte sie sich Lynley wieder zu und sagte ernst: »Können Sie sich das vorstellen? Es war für mich eine Möglichkeit, ich selbst zu sein. Es war die einzige Möglichkeit für mich, ich selbst zu sein, und das hat María verstanden. Ich weiß nicht wie und warum, aber sie hat es wirklich verstanden. Sie hat als Erste gewusst, wer und was ich bin.«
    »Eine Frau«, sagte Lynley. »Gefangen in einem Männerkörper. Aber trotzdem eine Frau.«
    »Ja.«
    Lynley brauchte einen Augenblick, um das zu verdauen. Er sah, dass sie ihn beobachtete. Und er sah, dass sie auf seine Reaktion wartete, dass sie sich vielleicht wappnete für den Fall, dass die Reaktion negativ ausfiel. Sie war einer von fünf Brüdern gewesen, in einer Welt, in der ein Mann zu sein bedeutete, dass man Privilegien genoss, die Frauen sich erst mühsam erkämpfen mussten. Ihr musste klar sein, dass kaum ein Mann verstehen würde, warum ein Mann in einer solchen Welt den Wunsch haben könnte, sein angeborenes Geschlecht abzulegen. Doch genau das hatte sie offenbar getan.
    »Selbst als ich noch Santiago hieß, war ich eine Frau. Ich besaß zwar einen männlichen Körper, aber ich war kein Mann. Ein solches Leben zu führen … nirgendwo hinzugehören … in einem falschen Körper gefangen zu sein … einem Körper, den man verabscheut und unbedingt loswerden will, um sein zu können, wer man ist …«
    »Also sind Sie eine Frau geworden«, sagte Lynley.
    »Ich habe eine Geschlechtsumwandlung machen lassen«, sagte sie. »Ich bin aus Santa María weggegangen, weil ich als Frau leben wollte und das dort nicht möglich war. Wegen meines Vaters, wegen seiner gesellschaftlichen Position, wegen der Familie. Es gab viele Gründe. Und dann kam Raul. Er hatte das Geld, das ich brauchte, um eine Frau zu werden, und er hatte auch seine eigenen Bedürfnisse. Also haben wir einen Deal gemacht, er und ich. Niemand anders war daran beteiligt, und niemand anders wusste davon.« Sie schaute ihn an. Lynley hatte im Lauf der Jahre die Gesichter von verzweifelten, ausgekochten oder durchtriebenen Menschen gesehen, wenn sie versuchten, der Wahrheit auszuweichen. Sie glaubten alle, sie könnten sich verstellen, aber das gelang nur den Soziopathen.

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