Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
hier. Barbara hat mich auf dem Handy angerufen. Es gab noch ein paar ungeklärte Fragen. Deshalb bin ich zurückgekommen.«
»Was für Fragen?«
»Wie sich herausgestellt hat, keine, die etwas mit Ian Cresswells Tod zu tun haben. Wo warst du? Bist du noch mal nach Lancaster gefahren?«
»Du kennst mich zu gut.«
»Ja. Und das wird immer so bleiben, nicht wahr?« Er schaute zur Bucht hinunter. Die Nebelbank hatte die Ufermauer erreicht, wälzte sich darüber und breitete sich bereits über den Rasen aus. Er musste sofort losfahren, wenn er die Autobahn erreichen wollte, ehe der Nebel undurchdringlich wurde. Andererseits würde der Nebel das Autofahren in ganz Cumbria gefährlich machen, und er sagte sich, dass er sich nicht guten Gewissens ohne Deborah auf den Weg machen konnte.
»Ich musste noch einmal mit Lucy Keverne sprechen, aber ich wusste, dass du es mir nicht erlauben würdest«, sagte Deborah.
Lynley hob eine Braue. »Ich habe dir überhaupt nichts zu ›erlauben‹. Du bist ein freier Mensch, Deborah. Ich habe dir am Telefon gesagt, dass ich mir lediglich deine Gesellschaft auf der langen Fahrt gewünscht hätte.«
Sie ließ den Kopf hängen. Ihre prächtiges rotes Haar fiel über ihre Schultern nach vorne, und er sah, dass die feuchte Luft bereits dabei war, ihr Werk zu tun. Strähne um Strähne kringelte sich zu Löckchen, als führten sie ein Eigenleben. Medusa, dachte er. Diese Wirkung hatte sie immer schon auf ihn gehabt.
»Ich hatte übrigens recht«, sagte sie. »Ich meine damit, dass mehr hinter der Sache steckt, als Lucy Keverne mir anfangs gesagt hat. Aber ich glaube nicht, dass es ausreicht für ein Mordmotiv.«
»Und was hast du in Erfahrung gebracht?«
»Dass Alatea Lucy dafür bezahlen will, dass sie ein Kind für sie austrägt, also dass sie ihr nicht nur die Unkosten erstatten, sondern wesentlich mehr geben will. Die Geschichte ist also gar nicht so sensationell, wie ich dachte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand wegen so etwas einen Mord begehen würde.«
Daraus schloss Lynley, dass Lucy Keverne – wer auch immer sie sein mochte – entweder nicht die ganze Wahrheit über Alatea Fairclough wusste oder dass sie Deborah nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Denn die wirkliche Geschichte war mehr als sensationell. Sie enthielt die drei Faktoren, die alles menschliche Verhalten bestimmten – Sex, Macht und Geld –, und jeder, der sie kannte, würde in Versuchung geraten, alles aus ihr herauszuholen, was sie zu bieten hatte. Aber Mord? Wahrscheinlich lag Deborah mit ihrer Einschätzung richtig. Das Einzige, was als Mordmotiv in Frage kam, war ein Detail, von dem Lucy Keverne nichts wusste, wenn man Alatea Fairclough glauben konnte. Und Lynley glaubte ihr.
»Und jetzt?«, fragte er Deborah.
»Ich bin hergekommen, um mich bei Alatea zu entschuldigen. Ich habe ihr tagelang die Hölle heißgemacht, und ich fürchte, ich habe ihre Pläne mit Lucy vereitelt. Das war nicht meine Absicht, aber dieser fürchterliche Journalist ist in unser Gespräch geplatzt und hat Lucy erzählt, ich sei eine Polizistin von Scotland Yard, die nach Cumbria geschickt wurde, um die Umstände von Ian Cresswells Tod aufzuklären …« Sie seufzte, schüttelte ihr Haar nach hinten und schob sich eine Strähne aus dem Gesicht, genau wie Alatea. »Ich glaube, ich habe Lucy Keverne Angst eingejagt, so dass sie sich jetzt nicht mehr traut, für Alatea ein Kind auszutragen. Ich habe Alatea schreckliches Unrecht angetan. Jetzt muss sie wieder ganz von vorne anfangen und sich eine neue Leihmutter suchen. Ich dachte … Na ja, wir haben doch etwas gemeinsam, sie und ich, nicht wahr? Wenigstens das möchte ich ihr gern sagen. Und sie um Verzeihung bitten. Und ihr sagen, wer ich wirklich bin.«
Sie meinte es gut, dachte Lynley, doch er fragte sich, ob sie es Alatea damit nicht noch schwerer machen würde. Andererseits kannte Deborah nicht die ganze Wahrheit, und von ihm würde sie sie nicht erfahren. Dazu bestand keine Notwendigkeit. Seine Arbeit hier in Cumbria war erledigt, Ian Cresswell war tot, und wer Alatea Fairclough war und was sie ihrem Mann anvertraute oder nicht, ging nur den lieben Gott etwas an.
»Wartest du auf mich?«, fragte Deborah. »Ich brauche nicht lange. Wir könnten uns im Hotel treffen.«
Er überlegte. Es schien die beste Lösung zu sein. »Aber falls du es dir anders überlegst«, sagte er, »gib mir diesmal Bescheid, okay?«
»Versprochen«, sagte sie. »Aber ich werde es mir nicht
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