Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
»Doppelt und pur. Du auch?«
»Gern«, sagte Lynley. »Ärger?«
»Mein Bruder David hat in Southampton eine junge Frau kennengelernt, die ihr Kind zur Adoption freigeben will. Ein Notar regelt die ganze Sache.«
»Das sind ja großartige Neuigkeiten, Simon«, sagte Lynley. »Was für ein Glück, nach all den Jahren.«
»Unter normalen Umständen, ja. Es ist ein Geschenk, mit dem wir nicht gerechnet haben.« Er öffnete eine Flasche Lagavulin und schenkte ihnen beiden ein. Lynley hob die Brauen, als St. James ihm ein Glas reichte. »Den haben wir uns verdient«, sagte St. James. »Ich zumindest, und ich nehme an, du ebenfalls.« Er zeigte auf die Ledersessel vor dem offenen Kamin. Sie waren alt und rissig, genau richtig, um hineinzusinken und sich zu betrinken.
»Und wie sind die Umstände?«, fragte Lynley.
St. James schaute zur Tür, um anzudeuten, dass das Gespräch ohne Deborahs Wissen stattfand. »Die Mutter will eine offene Adoption. Und zwar soll nicht nur sie selbst am Leben des Kindes teilnehmen, sondern auch der Vater. Sie ist sechzehn, er ist fünfzehn.«
»Ah. Verstehe.«
»Deborah hat sofort gesagt, sie will kein Kind, das sie mit anderen teilen muss.«
»Klingt doch irgendwie vernünftig, oder?«
»Und vor allem«, fuhr St. James fort, »will sie ihr Kind nicht mit zwei Teenagern teilen. Sie sagt, das wäre, als würden wir nicht ein Kind adoptieren, sondern gleich drei. Außerdem ist da ja noch die Verwandtschaft auf beiden Seiten, die will auch berücksichtigt sein.«
»Also, eigentlich«, sagte Lynley, »kann ich ihre Argumente gut verstehen.«
»Ich auch. Die Situation ist alles andere als ideal. Andererseits scheint es … Na ja, sie hat die Ergebnisse der letzten Tests, und es steht endgültig fest, Tommy. Sie wird kein Kind austragen können.«
Das wusste Lynley. Er wusste es seit über einem Jahr, und anscheinend hatte Deborah ihrem Mann endlich die Wahrheit gesagt, die sie ein ganzes Jahr lang mit sich herumgetragen hatte. Balancierte Translokation nannte sich das. Eine Anomalie der Chromosomen. Wenn die beiden also Kinder wollten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich nach Alternativen umzusehen.
Lynley sagte nichts. Die beiden Männer sinnierten über ihrem Whisky. Das Scharren von Hundefüßen auf Holz kündigte an, dass Peach im Anmarsch war, zweifellos in Begleitung ihres Frauchens. »Deborah hat mich eingeladen, zum Abendessen zu bleiben«, sagte Lynley leise, »aber ich kann mir eine Ausrede einfallen lassen, wenn es heute ungünstig ist.«
»Gott, nein«, erwiderte St. James. »Mir wäre es lieber, du bleibst. Du kennst mich ja. Mir ist alles recht, um ein schwieriges Gespräch mit der Frau, die ich liebe, zu vermeiden.«
»Ich habe uns ein bisschen was zum Knabbern mitgebracht«, verkündete Deborah, als sie das Zimmer betrat. »Käsestangen. Peach hat sich schon eine einverleibt, sie scheinen also sehr lecker zu sein, zumindest für Hundegaumen. Bleib sitzen, Simon, ich hole mir selbst einen Sherry.« Sie stellte den Teller mit den Käsestangen auf die Ottomane, die zwischen den beiden Sesseln stand, scheuchte den Dackel davon weg und ging zum Getränkewagen. »Tommy sagt, er möchte mit uns beiden reden. Ich schätze, es handelt sich entweder um was Geschäftliches oder um eine Ankündigung oder um beides. Und falls es etwas mit dem Healey Elliott zu tun hat, schlage ich vor, dass wir ihm den Wagen auf der Stelle abkaufen.«
»Das kannst du getrost vergessen«, sagte Lynley. »Mit dem Wagen wird man mich beerdigen müssen.«
»Verdammt.« St. James grinste.
»Ich hab’s immerhin versucht«, sagte seine Frau. Sie setzte sich neben St. James auf die Sessellehne und sagte zu Lynley: »Also, worum geht’s, Tommy?«
Er überlegte, wie er das Thema angehen sollte. Schließlich sagte er: »Ich wollte euch fragen, ob ihr Lust auf einen Herbstausflug in den Lake District hättet.«
CHELSEA – LONDON
Sie bürstete sich immer das Haar, ehe sie ins Bett kam. Manchmal tat er das für sie, und manchmal sah er ihr dabei zu. Ihr Haar war lang und kräftig und kraus und leuchtend rot und überaus widerspenstig, und genau darum liebte er es. Er lag im Bett und schaute ihr zu. Sie stand vor ihrer Kommode, und im Spiegel sah sie, dass er sie beobachtete.
»Bist du sicher, dass du es dir leisten kannst, dir ein paar Tage freizunehmen?«, fragte sie.
»Es ist ja nur für ein paar Tage. Die Frage ist, willst du es denn überhaupt?«
»Du meinst, ich bin keine gute
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