Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
Wandervögeln, den Zeichnern und den Philatelisten angemeldet, weil alle dort verlangten Aufgaben auch allein erledigt werden konnten. Man brauchte mit niemandem zu reden und sich nur anzuhören, was der jeweilige Lehrer zum Thema zu sagen hatte.
Genau wie jetzt beim wöchentlichen Treffen der Wandervögel. Quincy Arnold gab sein übliches Blabla nach der Nachmittagswanderung zum Besten. Sie waren ein bisschen über den öffentlichen Fußweg von Mansrigg nach Mansrigg Hall und von dort rauf bis zur Town Bank Road getrippelt, wo ein Schulbus sie abgeholt hatte. Echt ein Witz. Aber so wie Q. A. sich darüber ausließ, sollte man meinen, sie hätten gerade das Matterhorn bezwungen. Der große Hit war die Aussicht auf Ben Cragg gewesen – schon lange keinen dermaßen tollen Sandsteinfelsen mehr gesehen, hatte Tim nur höhnisch gedacht –, aber eigentlich waren diese ganzen Nachmittagswanderungen nur die Vorbereitung auf das, was Q. A. das große Abenteuer auf dem Scout Scar nannte. Das besagte Abenteuer sollte im kommenden Frühjahr stattfinden, und bis dahin sollten sie sich schon mal innerlich auf das großartige Ereignis einstellen, bla, bla, bla. Q. A. war der größte Schwätzer von allen, und er konnte regelrecht ausflippen über Sandsteinschichten und – Gott, wie aufregend – Findlinge aus der Glazialzeit. Das alles klang etwa so interessant wie die Idee, sich von einem Blinden die chinesischen Schriftzeichen beibringen zu lassen, aber Tim wusste, dass es sich lohnte, Q. A. ab und zu anzusehen, wenn er da vorne laberte. Allerdings gab er sich dabei stets gelangweilt bis gleichgültig, um nur ja nicht den Eindruck zu erwecken, er sei auf dem Weg der Besserung.
Er musste aufs Klo. Er hätte das draußen erledigen sollen, ehe sie in den Bus gestiegen waren, der sie zurück zur Schule brachte. Aber er hasste es, seinen Schwanz in der Öffentlichkeit rauszuholen, weil man nie wissen konnte, wie die Heinis, mit denen er wandern ging, darauf reagieren würden. Deswegen musste er sich jetzt mit dem Harndrang herumquälen, während Q. A. sich über ihren abenteuerlichen Ausflug ausließ. Als sie endlich auf dem Schulhof hielten, sprang er aus dem Bus und rannte auf die nächste Toilette. Beim Pinkeln sorgte er dafür, dass etwas daneben ging und etwas auf seinem Hosenbein landete. Als er fertig war, betrachtete er sich im Spiegel und kratzte sich einen Pickel auf der Stirn auf. Es blutete ein bisschen – das kam immer gut. Dann ging er sein Handy holen.
Die waren natürlich in der Schule verboten. Die Externen durften zwar ein Handy mitbringen, mussten es aber jeden Morgen im Vorzimmer des Direktors abgeben, wo es in eine Liste eingetragen wurde. Wenn man es nachmittags wiederhaben wollte, musste man erst zum Schulleiter hoch, sich dort einen Abholzettel ausstellen lassen und damit zum Schulkiosk gehen, wo die Handys in einem Schließfach hinter der Kasse aufbewahrt wurden.
Diesmal war Tim der Letzte, der sein Handy abholte. Als Erstes überprüfte er seinen SMS -Eingang. Nichts. Es kribbelte ihm in den Fingern. Am liebsten hätte er das Handy irgendjemandem an den Kopf geworfen. Er ging den Weg hinunter zu der Stelle, wo er und die anderen Externen nach Schulschluss abgeholt wurden. Natürlich durften sie nur mit Leuten mitfahren, die offiziell bei der Schule eingetragen waren. Bei Tim waren es drei, aber jetzt, wo sein Vater tot war, waren es nur noch zwei, was eigentlich bedeutete, dass es nur noch einer war, denn seine Mutter käme nie im Leben auf die Idee, ihn von der Schule abzuholen. Kaveh war bisher der lästigen Pflicht brav nachgekommen, weil ihm nichts anderes übrig blieb und er noch nicht wusste, wie er sich davon befreien sollte.
Das juckte Tim nicht. Es war ihm egal, wer ihn abholte. Im Moment interessierte ihn nur der Deal, den er mit Toy4You vereinbart hatte, und die Tatsache, dass auf seine letzte Nachricht, die er am Morgen auf dem Weg zur Schule abgeschickt hatte, keine Reaktion gekommen war. Er schrieb eine SMS :
wo bist du?
Einen Augenblick später kam die Antwort: Hier
du hast nicht geantwortet
wann?
du weißt was ich meine wir waren uns einig
quatsch
du hast es mir versprochen
geht nicht
wieso
nicht per handy
du hast es versprochen
wir müssen reden
Tim ließ das Handy sinken. Er wollte nicht reden. Er wollte, dass endlich etwas passierte. Er hatte seinen Teil der Vereinbarung eingehalten, und es war nur fair, dass Toy4You den seinen auch einhielt. Es lief immer gleich ab,
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