Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
dachte er grimmig. Jeder versuchte, jeden reinzulegen, und er hatte die Schnauze gestrichen voll davon. Aber was sollte er machen? Er konnte sich was anderes suchen, aber dazu hatte er keine Lust. Es hatte lange genug gedauert, bis er Toy4You gefunden hatte.
Er tippte seine Antwort ein. Wo?
selbe Stelle
heute
heute abend
ok
Er klappte das Handy zu und steckte es in seine Hosentasche. Ein dickes Mädchen, dessen Namen er nicht kannte, beobachtete ihn von einer Bank aus. Als ihre Blicke sich begegneten, hob sie ihren Schulrock an. Spreizte die Beine. Sie hatte keine Unterhose an. Er hätte kotzen können. Er suchte sich eine Bank in einiger Entfernung und wartete darauf, dass er abgeholt wurde. Während er überlegte, wie er Kaveh auf der langen Fahrt ärgern konnte, fiel ihm ein, dass er sich die Hose bepisst hatte. Das würde Kaveh richtig auf die Palme bringen, dachte er schadenfroh.
ARNSIDE – CUMBRIA
Alatea Fairclough war immer wieder völlig fasziniert von der Morecambe Bay. So etwas hatte sie zuvor noch nie gesehen. Die Ebbe hatte mehr als dreihundert Quadratkilometer Watt freigelegt. Aber das Watt war so gefährlich, dass sich nur Leichtsinnige, die einheimischen Fischer oder der Wattführer zu Fuß dort hinauswagten. Wer ohne Führer ins Watt ging – und das machten viele Leute –, lief Gefahr, sein irdisches Dasein zu beenden, indem er im Treibsand versank, der sich für das ungeübte Auge in nichts von festem Boden unterschied. Manche blieben auch weit draußen in der Bucht zu lange auf einem Sandhügel stehen, der ihnen sicher erschien, wie eine Art Insel, nur um festzustellen, dass die Flut sie erst vom Festland abschnitt und ihnen dann den Sand unter den Füßen wegspülte. Denn wenn die Flutwellen wie galoppierende Pferde auf das Land zustürmten, wurde alles in kürzester Zeit vom Wasser verschlungen. Genau das fand Alatea so hypnotisierend an den Flutwellen. Sie schienen aus dem Nichts zu kommen, und die Schnelligkeit, mit der sie kamen, sprach von einer Gewalt, die sich der Kontrolle des Menschen entzog. Und doch gab ihr der Gedanke Frieden: dass es eine Macht gab, die der Mensch nicht kontrollieren konnte, und dass sie diese Macht um Trost bitten konnte, wenn sie ihn am dringendsten brauchte.
Sie fand es großartig, dass dieses Haus – ein Geschenk ihres Schwiegervaters zur Hochzeit des einzigen Sohnes – direkt oberhalb des Kent Channel lag, einer vom Meerwasser in die Morecambe-Bucht gegrabenen Vertiefung. In ein warmes Schultertuch gewickelt konnte sie vom Ende des Grundstücks aus zuzusehen, wie die Flut hereinkam. Und sich einbilden, sie verstünde etwas davon, wie die Strudel sich bildeten.
Auch an diesem Novembernachmittag stand sie hier. Die Dunkelheit setzte bereits ein, und eine Wolkenbank im Westen über dem Humphrey Head Point kündigte Regen an, aber das machte ihr nichts aus. Im Gegensatz zu so vielen Menschen in ihrer Wahlheimat freute sie sich immer über den Regen, der Wachstum und Erneuerung versprach. Trotzdem war sie beunruhigt. Der Grund war ihr Mann.
Sie hatte nichts von ihm gehört. Nachdem sie bei Fairclough Industries angerufen und erfahren hatte, dass er nicht zur Arbeit erschienen war, hatte sie versucht, ihn auf seinem Handy zu erreichen. Den Anruf in der Firma hatte sie gegen elf Uhr getätigt, als er eigentlich noch hätte dort sein müssen. Für gewöhnlich fuhr er erst eine Stunde später zu dem Wehrturm-Projekt in Middlebarrow, wo er neuerdings den halben Arbeitstag verbrachte. Anfangs hatte sie angenommen, er sei früher als üblich dorthin aufgebrochen, und hatte es auf seinem Handy versucht. Aber sie hatte nur eine Nachricht hinterlassen können. Das hatte sie jetzt schon dreimal getan. Dass Nicholas sich nicht meldete, beunruhigte sie zutiefst.
Der plötzliche Tod seines Vetters überschattete ihr Leben. Alatea wollte lieber gar nicht darüber nachdenken. Der Tod eines Menschen, den man kannte, erschütterte einen immer, aber Ians Tod und die Umstände seines Todes erfüllten sie mit einer Angst, die sie nur mit allergrößter Mühe verbergen konnte. Dass Ian ertrunken war, hatte die Familie hart getroffen, vor allem Nicholas’ Vater. Anfangs war er derart am Boden zerstört gewesen, dass Alatea sich gefragt hatte, was für ein Verhältnis er eigentlich zu Ian gehabt hatte. Doch erst als Bernard angefangen hatte, sich von Nicholas zu distanzieren, hatte Alatea gespürt, dass hinter der Trauer des Alten noch mehr steckte.
Nicholas hatte nichts
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