Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
Gebäude mit weiß getünchtem Rauputz. Die Fenster waren von Sandstein eingerahmt, und aus den vielen Giebeln ragten runde Schornsteine, die ebenfalls weiß getüncht waren. Nur die Regenrinnenkästen im Arts-and-Crafts-Stil hoben sich von all der Schlichtheit ab. Im Innern des Hauses erwartete sie eine seltsame Stilmischung aus allen möglichen Epochen von mittelalterlich bis modern.
Nicholas Fairclough öffnete die Tür. Er bat sie in eine eichengetäfelte Eingangshalle, deren Marmorboden mit einem Muster aus Rauten, Kreisen und Quadraten gestaltet war. Er nahm ihr den Mantel ab und führte sie einen Korridor hinunter und an einem großen Raum vorbei, der aussah wie ein mittelalterlicher Bankettsaal. Der Raum befand sich in einem ziemlich bedauernswerten Zustand, soweit Deborah das beurteilen konnte, und wie zur Erklärung sagte Nicholas Fairclough: »Wir restaurieren den alten Kasten Stück für Stück. Dieser Raum wird wohl als Letztes drankommen, denn wir müssen erst jemanden auftreiben, der die außergewöhnliche Tapete wieder hinbekommt. Pfauen und Petunien habe ich sie getauft. Das mit den Pfauen stimmt, aber bei den Petunien bin ich mir nicht so sicher. Kommen Sie, wir können uns im Wohnzimmer unterhalten.«
Das Wohnzimmer war sonnengelb gestrichen, mit einem weißen Stuckfries aus Weißdornbeeren, Vögeln, Rosen und Bucheckern. Jeden anderen Raum hätte dieser opulente Fries dominiert, hier jedoch war der Blickfang der mit türkisfarbenen Kacheln verkleidete offene Kamin. Aber obwohl ein Feuer brannte, bedeutete Nicholas Deborah zu einem der Erkerfenster weiterzugehen und in einem von zwei niedrigen Sesseln Platz zu nehmen. Von hier aus hatte man eine herrliche Aussicht auf die Bucht. Auf einem Tisch zwischen den Sesseln stand ein Kaffeeservice mit drei Tassen, daneben waren diverse Zeitschriften fächerartig angeordnet.
»Ich wollte mich kurz allein mit Ihnen unterhalten, ehe ich meine Frau hole«, sagte Nicholas. »Sie sollen wissen, dass ich bereit bin, ganz offen mit Ihnen zu reden, und dass ich mich freuen würde, wenn in dem Film über mein Projekt berichtet würde. Aber bei Allie werden wir noch ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten müssen. Da wollte ich Sie nur schon mal vorwarnen.«
»Verstehe. Können Sie mir ein bisschen über sie sagen …?«
»Sie ist ziemlich verschlossen«, sagte er. »Sie ist Argentinierin und geniert sich für ihr Englisch. Ich finde, ehrlich gesagt, dass sie es perfekt spricht, aber so ist sie nun mal. Außerdem …« Er rieb sich das Kinn. »Außerdem will sie mich beschützen.«
Deborah lächelte. »Dieser Film ist kein Enthüllungsbericht oder so was Ähnliches, Mr. Fairclough. Es sei denn, es stellt sich heraus, dass Sie ehemalige Drogensüchtige für Ihre Zwecke versklaven. Darf ich fragen, warum Sie es nötig haben, dass man Sie beschützt?«
Sie hatte die Frage als Scherz gemeint, aber ihr fiel auf, wie ernst er sie nahm. Er schien in Gedanken mehrere Möglichkeiten durchzugehen, und das fand sie ziemlich verräterisch. Schließlich sagte er: »Ich glaube, es verhält sich folgendermaßen. Sie fürchtet, dass ich irgendwie enttäuscht werde. Und sie macht sich Sorgen, wohin die Enttäuschung führen könnte. Natürlich spricht sie das nicht offen aus, aber schließlich kennt man eine Frau, wenn man eine Weile mit ihr zusammengelebt hat. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Wie lange sind Sie denn schon verheiratet?«
»Im März waren es zwei Jahre.«
»Dann stehen Sie sich sehr nahe.«
»Ja, allerdings. Ich werde sie holen, wenn’s recht ist. Sie sehen wirklich nicht besonders furchterregend aus.«
Er stand auf und ließ sie allein. Sie schaute sich um. Wer auch immer für die Gestaltung des Wohnzimmers verantwortlich war, besaß Geschmack. Das Mobiliar war im Stil an die Zeit angelehnt, aus der das Haus stammte, und fügte sich harmonisch in das Interieur ein. Neben dem auffälligen offenen Kamin besaß der Raum eine Reihe von schlanken Säulen mit Kapitellen in Form von überquellenden Obstkörben. Diese Säulen rahmten die Erkerfenster ein, bildeten den Abschluss der Sitzbänke in der Kaminecke und trugen einen Sims, der sich unterhalb des Frieses entlangzog. Die Restaurierung dieses Raums allein musste ein Vermögen verschlungen haben, dachte Deborah. Sie fragte sich, wo ein ehemaliger Junkie so viel Geld aufgetrieben hatte.
Ihr Blick wanderte zu dem niedrigen Tisch vor ihr und zu den Zeitschriften, die neben dem Kaffeeservice lagen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher