Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
wegzutreten.
Egal, dachte Manette und trat einen Schritt nach vorne, so dass Niamh keine andere Wahl blieb, als entweder eine Kollision zu riskieren oder aus dem Weg zu gehen. Sie entschied sich für Letzteres, schloss allerdings nicht die Tür, als sie Manette ins Haus folgte.
Manette ging ins Wohnzimmer, von dessen Panoramafenstern aus man auf die Bucht sah. Sie warf einen flüchtigen Blick auf den Arnside Knott auf der anderen Seite der Bucht und verschwendete einen ebenso flüchtigen Gedanken daran, dass man mit einem starken Teleskop nicht nur die vom Wind gebeutelten Koniferen oben auf dem Hügel erkennen, sondern auch beobachten konnte, was sich weiter unten im Wohnzimmer ihres Bruders Nicholas abspielte.
Sie drehte sich um. Niamh musterte sie mit zusammengekniffenen Augen, aber aus irgendeinem Grund schoss ihr Blick mehrmals in Richtung Küche. Als würde sich dort jemand verstecken, dachte Manette, was allerdings in Anbetracht von Niamhs erwartungsvollem Gesichtsausdruck beim Öffnen der Tür irgendwie keinen Sinn ergab. Deswegen sagte Manette: »Ich könnte einen Kaffee gebrauchen. Darf ich …« Sie ging auf die Küchentür zu.
»Was willst du, Manette?«, fragte Niamh. »Du hättest wenigstens anrufen und mir Bescheid sagen können …«
Aber Manette war bereits in der Küche und stellte den Wasserkessel auf den Herd, als wäre sie hier zu Hause. Auf der Anrichte entdeckte sie den Grund für Niamhs nervöse Blicke. Dort stand ein knallroter Blecheimer, gefüllt mit allen möglichen Gegenständen. Ein schwarzer, wie eine Flagge geformter Aufkleber verkündete in weißer Schrift: Liebeseimer . Ein offener Karton, der ebenfalls auf der Anrichte stand, verriet, dass der Eimer eben erst mit der Post geliefert worden war. Man brauchte keinen Doktortitel in Sexualkunde, um zu erraten, dass der Inhalt des Eimers aus einer Auswahl an Spielzeug bestand, mit dessen Hilfe ein Paar ein bisschen Würze in sein Sexualleben zu bringen hoffte. Sehr interessant, dachte Manette.
Niamh schob sich an ihr vorbei und verstaute den Liebeseimer wieder in dem Karton. »Also gut«, sagte sie. »Was willst du? Und ich werde den Kaffee machen, wenn du nichts dagegen hast.« Sie nahm einen Kaffeekocher aus dem Schrank und knallte ihn auf die Anrichte. Dieselbe Behandlung wurde einer kleinen Packung Kaffee und einer Henkeltasse mit der Aufschrift Ich war in Blackpool zuteil.
Manette hielt es für das Beste, gleich zur Sache zu kommen. »Ich bin hier, um mit dir über deine Kinder zu reden«, sagte sie. »Warum wohnen sie immer noch nicht bei dir, Niamh?«
»Ich wüsste nicht, was dich das angeht. Hat Timothy dir gestern irgendwas erzählt?«
»Tim ist gestern mit den Fäusten auf mich losgegangen. Ich denke, wir sind uns einig, dass das kein normales Verhalten für einen Vierzehnjährigen ist.«
»Ah, also darum geht’s. Du wolltest ihn doch unbedingt von der Schule abholen. Und Timothy hat sich nicht gefreut? Das tut mir aber leid«, sagte Niamh sarkastisch. Sie löffelte Kaffee in die Kanne und nahm eine Tüte Milch aus dem Kühlschrank. »Aber ich verstehe gar nicht, warum du dich darüber wunderst, Manette. Es hat schließlich einen Grund, dass er auf die Margaret Fox School geht.«
»Und wir beide kennen den Grund«, sagte Manette. »Was zum Teufel hat das alles zu bedeuten?«
»Was das zu bedeuten hat, wie du dich ausdrückst, ist, dass Timothys Verhalten schon seit einiger Zeit nicht normal ist. Ich nehme an, du kannst dir denken, warum.«
Gott, dachte Manette, die alte Leier: Tims Geburtstagsparty und der Überraschungsgast. Großartige Gelegenheit, um zu erfahren, dass der Vater jemand anderen liebt, noch dazu einen Mann. Manette hätte Niamh erwürgen können. Wie viel Profit wollte diese Frau noch aus dem schlagen, was Ian und Kaveh ihr angetan hatten? Manette sagte: »Es war nicht Tims Schuld, Niamh. Und versuch nicht, dieses Gespräch auf deine übliche Tour zu sabotieren«, fügte sie hinzu. »Das mag vielleicht bei Ian funktioniert haben, aber bei mir ist das zwecklos.«
»Ehrlich gesagt habe ich nicht das geringste Bedürfnis, über Ian zu reden, da kannst du also ganz beruhigt sein.«
Das war ja etwas ganz Neues, dachte Manette. Eine interessante Abwechslung, denn seit einem Jahr hatte Niamh gar kein anderes Gesprächsthema gehabt als Ian und das, was er ihr angetan hatte. Nun, sie würde Niamh beim Wort nehmen. Sie war sowieso hergekommen, um über Tim zu reden. »Sehr gut«, sagte sie. »Denn ich habe
Weitere Kostenlose Bücher