Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
wissen Sie. Aus welchem Ort in Argentinien stammt Ihre Frau denn?«
»Aus Santa María de irgendwas. Das vergesse ich immer. Ein Städtename, der aus zehn Wörtern besteht. Am Fuß von irgendeinem Gebirge. Tut mir leid. Ich kann mir diese spanischen Namen einfach nicht merken. Sprachen sind mir ein Buch mit sieben Siegeln. Ich kann ja kaum Englisch! Auf jeden Fall mag sie den Ort nicht. Sie sagt, es war wie hinterm Mond zu leben. Wahrscheinlich ein kleines Kaff. Mit fünfzehn ist sie von zu Hause weggelaufen. Später hat sie sich mit ihren Eltern versöhnt, aber sie ist nie dorthin zurückgekehrt.«
»Sie wird ihren Eltern doch fehlen.«
»Dazu kann ich Ihnen nichts sagen«, erwiderte Nicholas. »Aber man würde es doch vermuten, oder?«
»Sie haben ihre Eltern also noch nicht kennengelernt? Sind sie denn nicht zur Hochzeit gekommen?«
»Tja, wir haben in aller Stille geheiratet. Nur Allie und ich im Rathaus von Salt Lake City, einer, der die Trauung vollzogen hat, und zwei Frauen, die wir auf der Straße angesprochen und gefragt hatten, ob sie sich als unsere Trauzeugen zur Verfügung stellen könnten. Danach hat Allie ihren Eltern geschrieben, um ihnen mitzuteilen, dass sie geheiratet hatte, doch sie haben nicht geantwortet. Ich glaube, die sind ziemlich sauer auf sie. Aber sie werden sich bestimmt irgendwann wieder beruhigen, wie alle Eltern. Vor allem …«, er grinste, »… wenn erst mal ein Enkelkind unterwegs ist.«
Deswegen also hatte Conception auf dem Tisch gelegen, eine Zeitschrift voller Artikel über Themen rund um das Thema Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt. »Sie erwarten ein Kind? Herzlichen …«
»Nein, nein, noch nicht. Aber wir rechnen jeden Moment damit.« Er trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. »Ich bin ein Glückspilz«, sagte er. »Ein echter Glückspilz.« Dann zeigte er auf ein Waldgebiet östlich der Straße, wo Laubbäume in bunten Herbstfarben zwischen grünen Koniferen leuchteten. »Der Middlebarrow Wald«, sagte er. »Von hier aus kann man den Wehrturm sehen.« Er hielt in einer Haltebucht, damit sie in Ruhe schauen konnte.
Der Turm stand auf einer Erhebung, die an die prähistorischen Grabhügel erinnerte, die es überall in England gab. Jenseits des Hügels begann der Wald. Der Turm stand auf einer freien Fläche, so dass man von seinen Fenstern aus jeden Angreifer sehen konnte, der sich aus dem Wald näherte, was in den Jahrhunderten, als die Grenze zwischen Schottland und England sich ständig änderte, an der Tagesordnung gewesen war. Die Angreifer hatten alle dasselbe Ziel. Es handelte sich um Marodeure, die die Rechtlosigkeit der damaligen Zeit ausnutzten und das Grenzgebiet unsicher machten. Sie überfielen die Dörfer, stahlen das Vieh, plünderten die Häuser aus und flohen mit ihrer Beute über die Grenze. Dabei gab es natürlich unweigerlich immer wieder Tote auf beiden Seiten.
Die Wehrtürme waren zum Schutz gegen diese Marodeure errichtet worden. Einige davon waren unzerstörbar, mit meterdicken Mauern und Schießscharten anstatt Fenstern und getrennten Stockwerken für das Vieh, die Bewohner und die Verteidigungsstellungen. Aber als man die Grenze schließlich festgelegt, Gesetze erlassen und Sheriffs eingesetzt hatte, wurden die Türme nicht mehr gebraucht. Einige wurden abgetragen und das Baumaterial für andere Zwecke benutzt, andere wurden in größere Bauten integriert wie Pfarrhäuser oder Schulen.
Der Wehrturm von Middlebarrow gehörte zu der ersten Kategorie. Er ragte hoch auf, die meisten seiner Fenster waren intakt. In einiger Entfernung standen ein paar alte Bauernhäuser, die Zeugnis davon ablegten, welchem Verwendungszweck einige der Steine aus seinen Mauern zugeführt worden waren. Auf der Wiese zwischen dem Turm und den Bauernhäusern war ein Zeltlager errichtet worden. Es war eine Ansammlung von kleinen Zelten, mehreren behelfsmäßigen Schuppen und einem größeren Zelt für das Zwölf-Schritte-Programm, wie Nicholas Fairclough erklärte. Außerdem diente das große Zelt als Speisesaal.
Nicholas fuhr weiter und bog in eine Straße ein, die zu dem Turm führte. Der Turm, sagte er, stehe auf dem Land eines Bauern aus Middlebarrow. Der Bauer hatte seine Zustimmung zu dem Projekt gegeben, nachdem er begriffen hatte, dass der restaurierte Turm als Touristenattraktion dienen würde und man sogar Ferienwohnungen darin einrichten konnte.
»Er hat sich sogar entschlossen, einen Campingplatz zu bauen«, sagte Nicholas. »Das bringt ihm
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