Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
schon etwas mehr Einsatz bringen müsste, als im Willow & Well in Bryanbarrow herumzuhängen und darauf zu warten, dass ihm auf wundersame Weise eine Offenbarung zuteilwerden würde – zum Beispiel in Gestalt eines Scotland-Yard-Detectives mit einer Riesenlupe in der Hand und einer Meerschaumpfeife zwischen den Zähnen. Zed hatte Yaffa angerufen, nachdem er sich notiert hatte, was der alte George Cowley ihm auf dem Dorfplatz erzählt hatte. Unter anderem, dass Cowleys halbwüchsigem Sohn die Schimpftiraden seines Vater ziemlich peinlich gewesen waren. Vielleicht, dachte er, wäre es keine dumme Idee, sich mit Daniel Cowley einmal unter vier Augen zu unterhalten.
Yaffa, die ihre Rolle als Verlobte spielte, weil Zeds Mutter gerade mit ihr im Zimmer war – wann war sie das mal nicht , fragte sich Zed –, machte ihn darauf aufmerksam, dass Ian Cresswells Tod George Cowleys Pläne durchaus durchkreuzt haben könnte, anstatt ihm, wie Zed angenommen hatte, einen Vorteil einzubringen.
Zuerst hatte Zed sich aufgeregt. Schließlich war er der investigative Reporter und sie bloß eine Studentin in London, die ihr Studium möglichst schnell hinter sich bringen wollte, um möglichst bald zu ihrem Freund Micah in Tel Aviv zurückkehren zu können. Er sagte: »Da wäre ich mir nicht so sicher, Yaf«, und war zusammengezuckt, als ihm bewusst wurde, dass er ihr einen Spitznamen verpasst hatte. »Äh, sorry, Yaffa«, hatte er hinzugefügt.
»Mir gefällt es«, sagte sie. »Das bringt mich zum Lächeln.« Dann, offenbar zu seiner Mutter, die wahrscheinlich mit großen Augen gefragt hatte, was Yaffa Shaw während eines Telefongesprächs mit ihrem geliebten Sohn zum Lächeln brachte: »Ach, Zed hat mich Yaf genannt. Das fand ich süß.« Und dann zu Zed: »Deine Mum sagt, du bist einfach ein süßer Bengel. Sie sagt, hinter deinem hünenhaften Äußeren verbirgt sich ein Zuckerbursche.«
»O Gott«, stöhnte Zed. »Kannst du sie nicht aus dem Zimmer werfen? Oder soll ich einfach auflegen und wir einigen uns, dass wir für heute unsere Pflicht erfüllt haben?«
»Zed! Hör auf damit!« Sie lachte. Sie hatte, so fand er, ein sehr angenehmes Lachen. Sie sagte zu seiner Mutter: »Er macht Kussgeräusche! Macht er das immer, wenn er mit einer Frau telefoniert? … Nein? Hmmm. Da bin ich ja mal gespannt, was ihm als Nächstes einfällt.«
»Sag ihr, ich hätte dich aufgefordert, dein Höschen auszuziehen oder so was«, sagte Zed.
»Zedekiah Benjamin! Deine Mutter steht direkt neben mir.« Dann: »Er ist sehr ungezogen.« Einen Augenblick später sagte sie in einem ganz anderen Ton zu Zed: »Sie ist weg. Aber sie ist wirklich sehr nett, deine Mum. Neuerdings bringt sie mir abends immer heiße Milch und Kekse, wenn ich in meinem Zimmer sitze und lerne.«
»Sie weiß, was sie will, und sie arbeitet schon seit Jahren daran. Aber dann scheint ja alles gut zu laufen, oder?«
»Ja, alles prima. Micah hat angerufen, und ich habe deiner Mutter von ihm erzählt. Er spielt jetzt meinen Bruder Ari, der ab und zu aus Israel anruft, um sich zu erkundigen, wie seine kleine Schwester mit dem Studium vorankommt.«
»Aha. Okay. Gut.« Und damit hätte das Gespräch beendet sein müssen, denn sie hatten lediglich vereinbart, zweimal täglich in Hörweite seiner Mutter miteinander zu telefonieren.
Doch Yaffa kam noch einmal auf das zurück, was sie zu Beginn des Gesprächs gesagt hatte: »Was, wenn alles ganz anders ist, als es auf den ersten Blick aussieht?«
»Wie bei uns, meinst du?«
»Na ja, ich rede nicht von uns, aber es kann doch sein, oder?«
»Dieser Typ von Scotland Yard …«
»Abgesehen von dem Typen von Scotland Yard. Bisher hast du mir Folgendes erzählt: Ein Mann ist tot, ein anderer Mann will das Haus haben, in dem der Tote gewohnt hat, und noch ein anderer Mann wohnt zusammen mit den Kindern des Toten in ebendiesem Haus. Was schließt du daraus?«
Eigentlich schloss er überhaupt nichts daraus, aber plötzlich wurde ihm bewusst, dass Yaffa ihm gedanklich voraus war. Er sagte: »Äh …«, und räusperte sich.
Sie erlöste ihn von seinem Elend. »Auf jeden Fall ist an der Sache mehr dran, als man auf den ersten Blick erkennt, Zed. Hat der Tote ein Testament hinterlassen?«
»Ein Testament?« Was zum Teufel hatte das mit der Sache zu tun? Was war an einem Testament sexy?
»Ja, ein Testament. Da liegt Potential für einen Konflikt, siehst du das denn nicht? Dieser George Cowley glaubt, dass er das Haus kriegt, weil es jetzt
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