Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
besser, als ich gedacht hätte, und das ist schon mal nicht schlecht. Außerdem hab ich hier einen trockenen Schlafplatz.«
»Während der Versammlungen?«, fragte Deborah.
Er sah sie scharf an. Als sie grinste, lachte er in sich hinein. »Wie gesagt, die sind besser, als ich dachte. Es wird ein bisschen viel von Gott gelabert und ein bisschen viel von Akzeptanz, aber damit komm ich klar. Vielleicht hilft’s ja. Ich versuch’s jedenfalls. Zehn Jahre als Tippelbruder … irgendwann reicht’s einfach.«
Aus einer großen Kiste, die auf einem Stuhl stand, nahm der Bärtige Besteck, Blechteller, Plastikgläser und -tassen und Papierservietten und reihte sie auf dem Tisch auf. Deborah half ihm dabei.
»Lehrer«, sagte er leise.
»Wie bitte?«
»Das war ich früher. An einer Mittelschule in Lancaster. Chemie. Da wären Sie nicht draufgekommen, oder?«
»Nein«, antwortete sie ebenso leise.
Er zeigte nach draußen. »Bei uns ist alles vertreten«, sagte er. »Einer war früher Chirurg, einer Physiker, zwei waren Banker und einer Immobilienmakler. Sie brauchen die Servietten nicht so ordentlich zu falten. Wir sind hier nicht im Ritz.«
»Oh, Verzeihung. Macht der Gewohnheit.«
»Wie der Chef«, sagte der Mann. »Man kann seine Herkunft nicht verleugnen.«
Deborah sagte ihm nicht, dass sie aus einer Familie stammte, deren Mitglieder bei Herrschaften »in Stellung gingen«, wie man sich in einem anderen Jahrhundert ausgedrückt hätte. Ihr Vater arbeitete seit jeher für die Familie St. James und sorgte seit siebzehn Jahren für Simon, während er gleichzeitig so tat, als würde er nichts dergleichen tun. Es war ein schwieriger Balanceakt, und er redete seinen Schwiegersohn tatsächlich immer noch mit Mr. St. James an. Deborah murmelte etwas mehr oder weniger Zustimmendes und sagte: »Sie scheinen ihn zu mögen.«
»Den Chef? Der ist anständig. Ein bisschen zu vertrauensselig, aber grundanständig.«
»Sie glauben, er wird ausgenutzt? Ich meine, von diesen Gentlemen hier.«
»Nein, nein. Die meisten wissen, dass es ihnen hier ganz gut geht, und wer nicht völlig hinüber ist vom Suff oder von Drogen, der bleibt, solange er kann.«
»Von wem dann?«
»Von wem er ausgenutzt wird?« Er schaute sie mit hochgezogenen Brauen an. »Leute kommen her und machen ihm Versprechungen, und er glaubt ihnen. Er ist halt naiv.«
»Es geht also um Geld? Um Spenden?«
»Manchmal. Manche erhoffen sich auch was von ihm.« Schon wieder dieser bedeutungsvolle Blick.
Deborah wurde klar, dass sie in seinen Augen zu der Kategorie von Leuten gehörte, die sich etwas von Nicholas Fairclough erhofften. Und mit dieser Einschätzung lag er ziemlich richtig. Trotzdem fragte sie: »Was denn zum Beispiel?«
»Na ja, er hat immerhin eine interessante Geschichte hinter sich, nicht wahr? Er glaubt, wenn er sie erzählt, könnte ihm das eine Menge Geld für sein Projekt einbringen. Aber so funktioniert es eben nicht immer. Meistens kommt überhaupt nichts dabei raus. Irgend so ein Journalist ist viermal hier gewesen und hat ihm versprochen, seine Story groß rauszubringen, und er dachte, es würde einen warmen Regen geben, sobald die Geschichte gedruckt wird. Aber nichts ist passiert, und wir stehen wieder ganz am Anfang und wissen nicht, wo wir die Mittel auftreiben sollen. Das hab ich gemeint. Ein bisschen naiv.«
Deborah sagte: »Viermal?«
»Hä?«
»Ein Journalist ist viermal hier gewesen, und es ist kein Artikel erschienen? Das ist aber sehr ungewöhnlich. Wenn man bedenkt, wie viel Zeit und Energie da aufgewendet wurde, und am Ende hatte niemand etwas davon. Das muss ja eine herbe Enttäuschung gewesen sein. Welcher Journalist investiert so viel Zeit in eine Story und schreibt sie am Ende doch nicht?«
»Das wüsste ich auch mal gerne. Er hat behauptet , er käme von der Source in London, aber keiner hat sich seinen Ausweis zeigen lassen, er kann also genauso gut gelogen haben. Wenn Sie mich fragen, dann war der hier, um irgendwas Negatives über den Chef rauszufinden und ihn schlechtzumachen. Der war nur auf der Suche nach was, womit er groß rauskommen kann, wenn Sie verstehen, was ich meine. Aber der Chef sieht das nicht so. Sein einziger Kommentar war: ›Die Zeit war noch nicht reif.‹«
»Aber Sie sind anderer Meinung?«
»Ich finde, er sollte sich vorsehen. Doch das tut er nicht, und das wird noch mal zu einem Problem. Wenn nicht jetzt, dann in Zukunft.«
WINDERMERE – CUMBRIA
Yaffa Shaw hatte Zed gesagt, dass er
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