Glauben Sie noch an die Liebe
jeder Frau, die Kinder bekommt, zu einer notariellen Absprache raten. Wer unverheiratet zu Hause bleibt bei den Kindern, erhält für diese Phase keine Rentenansprüche.
Andererseits muss man einen Mann finden, der es gut wegstecken kann, wenn seine Heiratsanträge abgelehnt werden.
Die bekomme ich erst gar nicht, weil klar ist, dass ich das nicht will. Mein Freund erzählt gerne, dass seine Bekannten ihn um diese lockere Hippiebeziehung beneiden. Wir sagen immer: »Wir gehen noch miteinander.«
Als wären Sie zwei Jugendliche.
Genau, es ist ein bisschen wie dieser Spruch aus dem Swinger-Club: »Alles kann, nichts muss.«
Ist das sozusagen Ihre Philosophie der Liebe?
Mein Anspruch an die Liebe bezieht sich auf alle Menschen, mit denen ich mich beschäftige. Das ist meine ethisch-poetisch-religiöse Überzeugung. Alle haben einen Teil meiner Liebe verdient, ganz gleich, ob diese Liebe freundschaftlich, mütterlich oder verwandtschaftlich ist. Deshalb finde ich es sehr vermessen, wenn jemand nach einer Trennung sagt: »Das war meine große Liebe!« Dann denke ich immer: »Boah, bist du doof!« Nicht, weil ich abspreche, dass die Leidenschaft wahnsinnig intensiv war, sondern weil ich sage: »Reduziere dich nicht auf einen Menschen, das wäre so schade!« Nach diesem Motto versuche ich zu leben.
ROGER WILLEMSEN
»Die Liebe hat immer etwas Vulgäres, etwas Ordinäres«
Wir hätten Roger Willemsen an einem Ort treffen können, der eines Intellektuellen wie ihm würdig erscheint: ein literarischer Salon irgendwo in Berlin vielleicht, wo Stofflampen ein schmeichelndes Licht verbreiten und junge Poeten verkehren, um über den, sagen wir, magischen Realismus von Jorge Luis Borges zu diskutieren. Oder auf einem dieser Talkshow-Sofas der Frankfurter Buchmesse, deren knittriges Leder noch warm ist von den Martin Walsers und Marcel Reich-Ranickis der deutschen Intelligenzija, die immer so viel Geistreiches und Feinfühliges zu sagen haben über die Liebe. Doch stattdessen laden wir Roger Willemsen, den Schöngeist, in eine Reeperbahn-Spelunke namens »Ritze« ein, vor deren Tür sich auf beiden Seiten je ein nacktes Frauenbein aus Plastik in die Höhe reckt – um der Türöffnung in der Mitte eine vulgäre, pubertäre Pointe zu verleihen. Man sollte sich keine Mühe geben, den wahren Zweck dieses Etablissements mit höflichen Worten zu umschreiben: Im Keller der »Ritze« trainieren Zuhälter an Punchingsbällen ihre Boxkünste. Oben, ins Lokal, kommen Freier, um drei Pils und zwei Korn zu trinken, bevor sie fünfzig Euro in die Hand nehmen und eine Prostituierte namens Uschi oder Gabi in der Herbertstraße nebenan besteigen, oder um drei Pils und zwei Korn zu trinken, wenn sie die Sache mit Uschi oder Gabi erledigt haben.
Herr Willemsen, können Sie Menschen verstehen, die solche Orte meiden?
Das ist der Spießbürger. Er lebt ein Leben, das so sehr von Ordnung bestimmt ist, dass er die Übertretung nicht kennt. Das mag verständlich sein, aber so verhält er sich auch im Bett, wie er küsst, wie er schläft.
Haben Sie schon einmal ein Bordell besucht?
Mehrere!
Erzählen Sie uns von Ihrem allerersten Bordellbesuch!
Das war in Bonn. Ich sah Frauen wie in Pralinenschachteln sitzen, die Beleuchtung war dezent, alles war in rotes Licht getaucht. Wenn nicht die Fernseher in den Zimmern der Prostituierten gelaufen wären, hätte ich das Gefühl gehabt, ich befände mich in Babylon.
Wie alt waren Sie da?
Vielleicht siebzehn.
Und Sie waren dort, um was zu tun?
Um zu gaffen. Mehr ging nicht. Ich war völlig unterlegen, eingeschüchtert, untauglich. Man sieht die Abgebrühtheit in den Gesichtern der Frauen. Dieses lieblose Verhältnis erlaubt kein Begehren.
Roger Willemsen hat in einer gepolsterten Sitzecke Platz genommen, eine vollbusige Barfrau bringt ihm ein Glas Mineralwasser. Die »Ritze« liegt in einem Hinterhof an der Reeperbahn, in die Betrunkene abends zum Pinkeln kommen, in der zerschlagene Bierflaschen in den Ecken liegen und wo schon so manches leichte Mädchen im Schatten der bekritzelten Häuserwände seinen Freier beglückt hat.
Was hat Ihnen damals im Bordell gefehlt?
Ich war dieser Lieblosigkeit nicht gewachsen. Ein Freund, auch ein deutscher Intellektueller, ging als Student zu einer Prostituierten. Die Dame sagte, er solle sich ausziehen. Dann krempelte sie den Ärmel hoch und sagte: »So, dann schauen wir mal!« Das war so unerotisch für ihn, dass er das Zimmer fluchtartig verließ.
Sie hatten
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