Gleichklang der Herzen
ihm ausgelöst hatte, ein schreckliches Erlebnis, das ihn schlagartig von einem Jüngling voller Ideale in einen verbitterten, in sich gekehrten Mann verwandelte.
Nur zu deutlich konnte er sich noch jenes Abends entsinnen, an dem er unerwartet von Oxford nach Hause gekommen war, in der Hoffnung, seinen Eltern eine freudige Überraschung zu bereiten.
Wie immer hatte er auch diesmal ein Geschenk für seine Mutter mitgebracht und freute sich schon darauf, es ihr zu überreichen.
Sie würde ihm ihr Gesicht zu einem Kuss darbieten und mit ihrer sanften Stimme, die sie so jung erscheinen ließ, ausrufen: „Wie reizend von dir, Nolan, mein Schatz, an mich zu denken! Es ist genau das, was ich mir gewünscht habe. Wie aufmerksam du doch bist!“
Er war damals kurz vor zehn Uhr abends angekommen. Seine Eltern lebten auf einem Landsitz in Hampshire, wo sein Vater Pferde züchtete, die zwar nie ein Rennen gewannen, ihm aber viel Freude machten.
Der alte Butler war sichtlich erstaunt, ihn vor der Tür zu sehen.
„Sie sind schon da, Master Nolan?“, hatte er ihn begrüßt. „Wir hatten Sie erst in drei Tagen zurückerwartet.“
„Ja, Bates, ich weiß“, hatte er geantwortet, „aber ich habe meine Prüfungen schon hinter mir, und da hätte es wenig Sinn gehabt, zu bleiben. Wo ist Papa?“
„In Newmarket, Master Nolan. Er kommt erst morgen zurück.“
„Ach, wie schade. Ich wollte ihn überraschen. Und meine Mutter?“
Der alte Mann zögerte, ehe er sagte: „Gehen Sie lieber hinauf auf Ihr Zimmer, und machen Sie sich zurecht, Master Nolan. Ich sage der gnädigen Frau inzwischen Bescheid.“
„Nichts dergleichen, Bates. Ich möchte sie überraschen. Lassen Sie mir lieber etwas zu essen bringen. Ich war stundenlang unterwegs und habe einen Bärenhunger.“
Er wartete die Antwort des Butlers erst gar nicht ab und lief die Treppe hinauf, drei Stufen auf einmal nehmend, dann den Gang entlang, der zum Schlafzimmer seiner Mutter führte.
Sie bewohnte gemeinsam mit seinem Vater die Herrschaftssuite auf der Südseite des Hauses.
Zu dieser Zimmerflucht gehörte ein großes Schlafzimmer, ein Ankleideraum und ein Boudoir, das Nolan seit seiner frühesten Kindheit als der schönste Raum des ganzen Hauses erschienen war.
Dort bewahrte seine Mutter ihre Schätze auf, dort pflegte sie ihre Briefe zu schreiben, ihre Näharbeiten zu machen und Nolan vorzulesen, wenn sie zusammen auf dem Sofa saßen.
Dort konnte er sich mit ihr aussprechen, ihr seine Gedanken und Gefühle anvertrauen und ihr zuweilen, ganz schüchtern, die Gedichte vorlesen, die er schrieb und die er sonst niemandem zeigte.
Vor der Tür angekommen, war er kurz stehen geblieben. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass er sein Geschenk bei sich hatte, strich er sich das dunkle Haar aus der Stirn, um so hübsch und adrett auszusehen, wie sie es sich wünschte.
Leise machte er die Tür auf.
Vielleicht würde sie vor dem Kaminfeuer sitzen wie so oft, nur mit einem spitzenbesetzten Neglige bekleidet, in dem sie ihm mit ihrem schulterlangen offenen Haar immer wie ein Engel erschienen war.
Im Raum brannten mehrere Kerzen. Seine Mutter konnte er nicht sehen.
Und doch duftete es hier nach Blumen, besonders nach Rosen, ein Duft, den er immer mit seiner Mutter in Verbindung brachte.
Ach, sie wird schon zu Bett sein, hatte er sich gesagt. Lächelnd stellte er sich vor, wie er sie mit einem Kuss wecken und wie sie erstaunt die Augen aufschlagen würde. Leise durchquerte er den Raum. Da hörte er durch die Verbindungstür Stimmen aus dem Nebenraum.
Sieh an, Papa ist schon da. Möchte wissen, warum Bates sagt, er käme erst morgen, hatte er bei sich gedacht.
Und dann hatte er gehört, wie seine Mutter sagte: „Oh, Bernard, ich liebe dich!“
„Mein Schatz, mein Alles. Keine Frau ist so schön wie du“, hatte eine Männerstimme geantwortet. „Wenn ich dich doch immer bei mir hätte!“
Nolan war wie zur Salzsäule erstarrt.
Er hatte sofort erfasst, wer dieser Bernard war. Wie naiv er doch bei seinem letzten Besuch zu Hause gewesen war! Dass er nicht gemerkt hatte, was da vorging!
Doch dass seine Mutter sich so weit vergessen konnte, war so unglaublich, dass es ihn wie ein Dolchstoß traf.
Er hatte sie geradezu angebetet, nicht allein ihrer Schönheit wegen, sondern auch wegen ihres Wesens. Sie schien ihm die Verkörperung all dessen, was rein und vollkommen war.
Alle Frauen, denen er begegnet war, hatte er mit ihr verglichen und festgestellt, dass die
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