Gleichklang der Herzen
sich. Sir Renhold meldet, bin ich nicht zu Hause.“
„Sehr wohl, Euer Gnaden.“
Der Herzog traf Captain Hugh Carlyon in der Bibliothek. Dieser Vetter zweiten Grades war sein Sekretär und Bibliothekar. Vor der Schlacht von Waterloo war Hugh Carlyon ein gut aussehender junger Mann gewesen, jetzt war er grausam entstellt. Er hatte einen Arm und ein Auge verloren, und die Hälfte seines Gesichts war von tiefen Narben durchzogen. Er hielt sich in Melcombe-Haus verborgen und mied jeden Umgang mit anderen Menschen.
„Du hast nach mir gefragt, Sebastian?“, sagte er.
„Ja, und zwar handelt es sich um Ravella Shane.“
„Das habe ich mir gedacht, denn ganz London wird bald über den Fall reden.“
„Es ist schon so weit. Elinor war hier. George und Elinor wollen das Mädchen bei sich aufnehmen und anständig erziehen.“
Hugh Carlyon fand das vorzüglich, aber sein Vetter war anderer Meinung.
„Ich denke nicht daran, George Renholds Geldgier Vorschub zu leisten. Sein Interesse für mein Mündel ist reine Heuchelei.“
„Gut, aber hast du einen anderen Vorschlag?“
„Ich werde mir noch etwas einfallen lassen.“
Nach einem Augenblick der Stille sagte der Captain: „Die Marquise von Ivel ist am Nachmittag vorbeigekommen. Sie hatte einen Brief für dich, wollte ihn aber nicht hierlassen.“
„Sie hat den Brief im „White’s Club“ abgeben lassen“, sagte der Herzog.
„Im Club? Sie selbst? Sie muss verrückt sein!“, rief Hugh.
„Nein, das ist sie nicht, nur aufdringlich. Und darum geht sie mir auf die Nerven.“
„Du bist also fertig mit ihr, Sebastian? Die arme Frau, es wird ihr wehtun. Ich erinnere mich an ihr erstes Auftreten in der Londoner Gesellschaft. Sie war sehr schön.“
„Das sind viele Frauen, aber es ist erstaunlich, wie man sogar einer vollkommenen Schönheit gegenüber gleichgültig wird.“
„Sebastian, wann wirst du aufhören, so zynisch zu sein? Alles langweilt dich. Dabei liegt dir die Welt zu Füßen. Du hast einen hohen Rang, bist der Besitzer von Lynke, dem schönsten Landgut Englands. Dennoch genießt du dein Leben überhaupt nicht. Die Frauen lieben dich, aber ich denke oft, du hasst sie.“
Der Herzog zog seine Schnupftabakdose aus der Tasche und besah sie von allen Seiten. „Manchmal bist du wirklich scharfsichtig, Hugh.“
„Du hasst sie also? Ist das dein Geheimnis? Hast du deshalb manchmal eine diabolische Freude daran, die zu kränken, die dich lieben?“
„Nenn es doch nicht Liebe!“ Der Herzog lachte bitter. „Was Frauen mir geben und von mir erwarten, ist nicht Liebe, sondern nur Begierde, Fleischeslust. Das ist die Wahrheit, die sich bei Frauen oft hinter schönen Lügen versteckt.“
Das Gespräch der Vettern wurde durch die Ankunft des Rechtsberaters unterbrochen. Mr. Hawthorn war ein älterer Mann, der gekünstelte Heiterkeit an den Tag legte und sich im Übrigen äußerst servil benahm.
„Guten Tag, Mr. Hawthorn. Ich brauche Ihren Rat“, sagte der Herzog. „Es betrifft Miss Ravelle Shane.“
„Für diese vom Glück gesegnete junge Dame haben sich heute schon verschiedene Personen interessiert, Euer Gnaden.“
„Wer?“
„Sir George Renhold fragte heute Nachmittag an.“
„Habgier!“
„Vor einer halben Stunde kam Lord Brora in Begleitung eines anderen Herrn vorbei.“
„Neugier!“
„Gerade als ich fortgehen wollte, traf der junge Graf Wroxham ein und fragte mich nach einigen persönlichen Umständen betreffs Miss Shane.“
„Welche?“
„Das Alter der Dame.“
„Falls sich Seine Lordschaft dafür interessiert: Es wird noch viel Zeit verstreichen, bis sie 21 ist und über ihr Vermögen verfügen kann.“
„Haben Euer Gnaden vergessen, dass Miss Shane sofort über ihr Vermögen verfügen kann, wenn sie heiratet?“
„Das hatte ich nicht bedacht. Sie ist doch noch ein Kind.“
„Miss Shane ist vor zwei Wochen 17 geworden.“
„Ach so. Was wollte Lord Wroxham noch wissen?“
„Auf welcher Schule Miss Shane ist. Ich nannte Miss Primington’s Akademie für junge Damen in Mildew.“
Der Herzog horchte auf. „Wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht, liegt dieser Ort in der Nähe meines Landsitzes Lynke.“
Er sprang auf und zog die Klingelschnur.
„Was hast du vor?“, fragte Hugh, der dem Gespräch gefolgt war.
„Ich bestelle meinen Wagen. Heute Abend werde ich in Lynke schlafen, und morgen mache ich mich vielleicht mit Miss Ravella Shane bekannt.
Der Herzog hatte sich länger als erwartet in Lynke
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