Gleichklang der Herzen
dass es sich um sein Gut in Hertfordshire handele. Vor Ravellas erstauntem Blick lag im Mondschein ein riesiges, prächtiges Gebäude.
Diener eilten herbei. Der Herzog und Ravella stiegen aus und betraten gemeinsam die berühmte, prunkvoll ausgestattete Halle von Lynke. Im Schimmer der Kerzen sah der Herzog, wie klein und zierlich sein Mündel war, wie groß ihre blauen Augen waren und wie goldblond sich die Locken ringelten. Als sie lachte, zeigten sich zwei Grübchen.
Auch Ravella sah sich den Herzog an und rief entzückt: „Oh, Sie sehen genauso aus, wie ich es mir vorgestellt hatte.“
2. KAPITEL
In Melcombe-Haus hatte der Herzog zum Souper eingeladen. Dreißig Gäste saßen auf vergoldeten Stühlen an der Tafel. Hinter jedem Gast wartete ein livrierter Lakai auf. Schmeichelnde Tischmusik, eine Überfülle an Blumen, kostbares Geschirr und zahllose Kerzen in Kristalllüstern erhöhten die festliche Stimmung.
Die männlichen Gäste trugen große Namen; allerdings stand der eine oder andere unter ihnen nicht im besten Ruf. Die weiblichen Gäste zeichneten sich nicht durch Herkunft, sondern durch Charme aus. Die meisten waren Tänzerinnen von der Oper.
An der Schmalseite der Tafel saß der Herzog, und Lotti rechts von ihm. Sie war Solistin in der Oper. Der Herzog war vor zwei Jahren einige Monate lang ihr Gönner gewesen. Das hatte genügt, um ihr bei den männlichen Opernbesuchern großes Ansehen zu verleihen. Als der Herzog sie verließ, hatte sie andere Gönner gefunden, aber sie konnte ihn trotzdem nicht vergessen. Sie hätte alles darum gegeben, ihn wieder zu erobern.
Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er Liebesbeteuerungen hasste. Deshalb hatte sie sich an diesem Abend vorgenommen, sich zu verstellen und Gleichgültigkeit an den Tag zu legen.
Eine Rivalin saß ihr gegenüber an der anderen Seite des Herzogs. Oriel war ein Neuling an der Oper. Sie war klein, so zierlich wie ein Vögelchen und verstand sich noch nicht auf die erotische Herausforderung, die für die meisten Tänzerinnen charakteristisch war.
Mehrere Herren der Gesellschaft hatten Oriel schon umworben, aber sie hatte noch keinen erhört. Lotti wusste genau, dass der Herzog nur den kleinen Finger zu rühren brauchte, damit Oriel ihm verfiel. Sie versuchte, den Herzog durch witzige Unterhaltung zu fesseln, merkte aber, dass sein Blick auf Oriels blendend weißen Schultern ruhte.
An diesem Tafelende ging es gesittet zu, am anderen sehr viel weniger. Der Wein tat schon seine Wirkung. Die Stimmen wurden schrill, das Lachen wurde lauter. Obgleich Lotti wenig getrunken hatte, fühlte sie sich zunehmend freier.
Sie wandte sich dem Herzog zu und sagte leise: „Sie haben sich überhaupt nicht verändert.“
„Nein?“
„Sie sehen noch immer wie ein Gott aus, den die Anbetung der Gläubigen langweilt. Nach wie vor betrachten Sie das Leben aus der Proszeniumsloge. Denken Sie manchmal an mich?“
„Meine liebe Lotti, was für eine Frage? Wären Sie sonst heute Abend hier?“
„Ich meine es anders. Ich bin älter geworden und habe in diesen beiden Jahren viel dazugelernt. Darf ich Ihnen verraten, dass ich mich jetzt für reizvoller halte als damals, als ich Sie kennenlernte?“
„Daran zweifle ich nicht, Lotti.“
„Also dann …?“
Atemlos wartete sie auf seine Antwort, denn was sie mit ihrer kurzen Frage gemeint hatte, konnte er von ihrem Gesicht ablesen.
Sie wurden jedoch durch Lärm und Gelächter am anderen Ende der Tafel unterbrochen. Lord Rupert Davenport hob die Dame neben sich hoch und ließ sie auf den Tisch steigen. Er hatte mit einem anderen Herrn gewettet, dass seine Tischdame im Stande sei, auf einem umgekehrten Weinglas zu tanzen.
Die Tänzerin sträubte sich kokett, gab aber schließlich nach und raffte ihre seidenen Röcke bis über das Knie. Sie setzte eine Schuhspitze auf das umgestülpte Glas, und Lord Rupert rief den Musikern zu, sie möchten lauter spielen.
Lotti biss sich verzweifelt auf die Lippe. Zu oft hatte sie schon erlebt, wie nackte oder bekleidete, betrunkene oder nüchterne Ballettratten auf dem Tisch tanzten. Zu ihrem Leidwesen schien der Herzog von dem Vorgang gefesselt.
Gerade als die Musiker neu ansetzten, öffnete ein Diener die Saaltür und verkündete: „Miss Shane, Euer Gnaden.“
Alle verstummten und sahen sich um. Ravella stand in der Tür. Sie trug einen langen, dunklen Mantel und hatte den Schutenhut abgenommen. Das blonde Haar rahmte locker ihr Gesicht. Man hörte nichts als
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