Gleichklang der Herzen
Kilometer von Lynke Green nach hier. Mein Onkel war immer schlecht zu Fuß. Als ich vom Feld kam, hat er mir gesagt, ich sollte hierher reiten. Habe nur noch meinen Tee getrunken, dann ging’s los.“
„Ja, ja, ich verstehe“, erwiderte der Herzog.
Jetzt kamen zwei Reitknechte angelaufen. Sie führten den großen schwarzen Hengst des Herzogs und die braune Stute des Verwalters am Zügel. Der Herzog sprang sofort und ohne Hilfe des Reitknechts in den Sattel. Der Hengst, der sich ausgeruht hatte, bäumte sich auf und tänzelte vor Erregung. Der Herzog zog die Zügel straff und verließ den Hof in scharfem Tempo.
Adrian folgte ihm, zurück blieb der Junge auf dem Ackergaul. In seiner großen, schwieligen Hand hielt er zwei Guineas aus Gold. Sein Gesicht verriet völlige Verblüffung.
Drei Stunden später betrat Ravella das im Königin-Anne-Stil eingerichtete intime, kleine Esszimmer in Lynke. Dort hatte es sich der Herzog in einem Sessel mit einem Glas Wein bequem gemacht. Das Licht der Kerzen in hohen, silbernen Leuchtern ließ Ravellas frisch gewaschenes Haar goldig schimmern. Entgegen der Mode rahmten krause Löckchen ihr bezauberndes kleines Gesicht.
Sie war blass, aber ihre rosigen Lippen lächelten. Es schien unvorstellbar, dass es sich um dasselbe zerlumpte, verwahrloste Geschöpf handelte, das sich erst vor wenigen Stunden dem Herzog in die Arme geworfen hatte.
Der Herzog erhob sich. Er hatte sich umgezogen und trug statt der Reitkleidung einen Rock aus feinstem grünen Satin aus der Meisterhand des Schneiders Schwartz. Die Krawatte war nach der neuesten Mode geschlungen, die eng anliegende Hose zeigte nicht die geringste Falte.
Beim Schreiten hob Ravella den Rocksaum ihres rosafarbenen Kleides. Weich schmiegte es sich ihrer Figur an. An den Schultern und der Taille war es mit silbernen Bändern garniert. Als sie vor dem Herzog stand, strahlte sie ihn an.
„Ich bin ja so glücklich“, sagte sie lächelnd, sodass die Grübchen erschienen. „Außerdem habe ich eine neue Erfahrung gemacht. Früher war mir nie bewusst, wie wundervoll Sauberkeit ist.“
„Sie steht dir auch entschieden besser, Ravella.“
„Ich schäme mich, weil du mich in einem so schrecklichen Zustand gesehen hast. Der alte Polizist knurrte schon, als ich ihn um Trinkwasser bat. Ich hatte einfach nicht den Mut, ihn auch noch um Waschwasser zu bitten …“
„Ich fürchte, dass unsere Gefängnisinsassen nicht gerade mit den Errungenschaften der modernen Hygiene bekannt gemacht werden“, sagte der Herzog.
Ravella lachte. „Bestimmt nicht! In einer Ecke meiner Zelle war eine trübe Pfütze. Darin saß ein Frosch und glotzte mich unentwegt an. Die Fenster waren nicht verglast. Unvorstellbar, was die Gefangenen wohl erst im Winter erleiden müssen!“
„Die schrecklichen Lebensbedingungen im Gefängnis sollen ja auch auf Übeltäter abschreckend wirken“, sagte der Herzog.
„Ich werde jedenfalls alles tun, um nicht wieder hineinzukommen. Hat übrigens jemand dem Polizisten die Fensterscheiben bezahlt? Er machte sich deswegen große Sorgen.“
„Halliday wird sich darum kümmern. Ich weiß immer noch nicht, warum du nicht schon früher am Tag in Lynke eingetroffen bist. Es hätte dir doch viele unangenehme Stunden erspart.“
Ravella sah ihn überrascht an. „Du bist doch sonst nicht so schwer von Begriff: Ich wusste, dass ich nur im Gefängnis sicher wäre. Ich hatte große Angst, dass die Zigeuner das Dorf beobachten würden, um mich wieder einzufangen. Und wäre es dort noch tausendmal schlimmer gewesen, ich hätte trotzdem in der Zelle ausgeharrt, bis Adrian oder du mich erlöst hättest.“
„Du hast die Botschaft an Adrian gerichtet.“
„Aber du bist zusammen mit ihm gekommen. Nie im Leben war ich so aufgeregt wie in dem Augenblick, als ich draußen deine Stimme hörte. Da wusste ich, dass ich wirklich in Sicherheit war.“
„Aber deine Botschaft galt Halliday“, beharrte der Herzog.
„Natürlich. Ich wusste ja, dass er in Lynke ist, dachte aber nicht im Entferntesten daran, dass du auch da sein könntest. Es war einfach zu schön! Ich hatte mir vorgestellt, dass du vielleicht Polizisten oder sogar Militär auf meine Spur setzen würdest, aber du bist selber gekommen … Oh, das war wundervoll von dir!“
„Es mag seltsam klingen“, sagte der Herzog so kühl wie möglich, „aber ich war wirklich in Sorge um dich.“
„Tatsächlich? Hast du dich sehr um mich gesorgt?“ Ravella sah ihn forschend an,
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