Gleichklang der Herzen
ehe sie weiterredete.
„Als ich allein im Zigeunerwagen saß, habe ich mir vorgestellt, dass du auf Gesellschaften oder im Club sein könntest. Der Gedanke quälte mich, du hättest mich vergessen.“
„Dich vergessen?“, wiederholte er, und seine Stimme klang nicht mehr kühl. Dann brach er plötzlich ab und fuhr in leichtem Ton fort: „Das ist eine ganz unsinnige Bemerkung, meine liebe Ravella.“
„Du hast mir noch nicht erzählt, wie du meine Entführung durch die Zigeuner aufgedeckt hast.“
Der Herzog bediente sich aus seiner Schnupftabakdose und sagte: „Ich schlage vor, dass wir den ganzen Zwischenfall vergessen. Es nützt doch nichts, wenn wir noch einmal beschwören, was du alles durchgemacht hast.“
„Ja, es war schrecklich. Als Kate und die Haushälterin Mrs. Mayhew mir das Badewasser brachten und mir aus den ekelhaften Lumpen halfen, in die die Zigeuner mich gesteckt hatten, haben beide laut aufgeschrien. Sie waren ganz entsetzt über die Striemen auf meinem Rücken. Das sind richtige Wunden, und sie tun mir immer noch weh. Hoffentlich hinterlassen sie keine Narben. Soll ich sie dir zeigen?“
Der Herzog schüttelte den Kopf. „Danke, Ravella, aber es wäre zu quälend für mich. Lass uns von etwas anderem reden. Wie gut, dass du ein passendes Kleid gefunden hast, um dich zu verschönern.“
„Gefällt es dir?“, fragte sie lachend.
„Es steht dir ausgezeichnet“, sagte er und hob sein Lorgnon an die Augen.
„Du erkennst es wohl nicht wieder?“
„Nein. Wieso?“
„Allem Anschein nach hat es einem deiner Schätzchen gehört“, sagte Ravella unbefangen.
Dem Herzog entfiel das Lorgnon. „Was sagst du da?“
Ravella kicherte wieder. „Sieh doch nicht so böse aus. Den Ausdruck hat Kate gebraucht, und auch Mrs. Mayhew wusste Bescheid. Es gab sonst nichts, was ich hätte anziehen können. Zwei Näherinnen stellen zurzeit ein Kleid für mich her, das morgen fertig sein wird, aber für heute Abend nützt mir das nichts. Ich wollte auf jeden Fall mit dir essen, obgleich Mrs. Mayhew mir das Essen ans Bett bringen sollte.“
Sie lächelte bei der Erinnerung an die Szene.
„Als ich mich weigerte, nahm sie mich in ein Zimmer mit. Es war wohl ein Ankleidezimmer. Wie hättest du dich amüsiert, wenn du in die Schränke gesehen hättest! Sie hat dort all die Anzüge aus deiner Kindheit aufbewahrt, deine ersten Kleidchen, Reitstiefel und den Jagdrock, auch die Schuluniform von Eton, einfach alles ist da!“
Der Herzog hörte ihr lächelnd zu.
„Denk dir, auch deine erste Pistole ist noch vorhanden, dazu dein erster Degen, sogar deine Schuhe! Alles ist so sauber und geputzt, dass du die Sachen morgen anziehen könntest. Ich habe gelacht, aber Mrs. Mayhew war richtig gekränkt. Sie hütet diese Dinge wie einen Familienschatz. Unnötig zu sagen, dass sie aus dem Besitz deiner Schwestern nichts aufgehoben hat.“
Nun lachte der Herzog, und Ravella plauderte weiter.
„Außer diesem Kleid war keine weibliche Garderobe da. Man hatte es auf einem Regal weggepackt, und Kate machte darauf aufmerksam. Als Mrs. Mayhew es sah, hüstelte sie und räusperte sich missbilligend. Sie stellte sich mächtig an. Schließlich sagte sie ganz steif, einer deiner Gäste müsste es hier gelassen haben. Da es kein anderes Kleid gab, habe ich es angezogen. Hoffentlich steht es mir so gut wie der hübschen Dame, der es gehört.“
„,Hübsche Dame’ ist eine bessere Bezeichnung als der Ausdruck, den du vorhin gebraucht hast“, bemerkte der Herzog.
Die Tür öffnete sich, das Abendessen wurde angekündigt.
„Endlich!“, rief der Herzog. „Ich konnte es kaum noch erwarten, denn ich bin sehr hungrig.“
„Ich auch! Der knauserige, alte Polizist hat mir zum Lunch nur ein Stück trockenes Brot mit Käse gegeben. Er selbst aß Gebratenes. Der Geruch danach zog bis in meine Zelle.“
„Als Friedensrichter werde ich mich darum kümmern, dass die Gefängnisinsassen in diesem Bezirk eine bessere Kost bekommen, aber nun wollen wir zu Tisch gehen.“
Er zog selbst den Stuhl zurück, auf den Ravella sich setzen sollte, was den aufwartenden Diener sehr wunderte. Ravella ließ sich vorsichtig nieder.
„Ach, es tut noch so weh, besonders wenn ich mich hinsetze oder eine schnelle Bewegung mache.“
Der Herzog griff zum Lorgnon und studierte die Karte, die vor ihm in einem vergoldeten Kristallhalter stand. Dann reichte er sie Ravella.
„Eine bescheidene Mahlzeit, aber wir werden schon etwas finden, was uns
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