Gleichklang der Herzen
ihr war feucht und schlüpfrig. Es gab kein Licht und weder Stuhl noch Pritsche. Die Zelle roch muffig, aber kam es darauf an? Ravella war frei. Irgendwann am nächsten Morgen würde es ihr möglich sein, dem Herzog eine Botschaft zu übersenden.
5. KAPITEL
Adrian Halliday arbeitete gerade in den Räumen der Gutsverwaltung von Lynke, als er den Herzog auf den Hof reiten sah. Überrascht sprang er auf, um ihn zu begrüßen. Die Reitstiefel des Herzogs waren von Staub bedeckt. Noch ehe ein Reitknecht aus den Ställen bei ihm war, hatte er sich schon aus dem Sattel geschwungen. Er gab nur einen kurzen Befehl.
„Versorg dieses Pferd und sattele mir sofort ein anderes!“
Jetzt staunte Adrian noch mehr. Selbst ohne besonders viel von Pferden zu verstehen, war offensichtlich, dass dieses Pferd über viele Stunden äußerst hart geritten worden war. Der Herzog sah indes besser aus als je. Nach achtundvierzig Stunden, die er fast ununterbrochen im Sattel gesessen hatte, war die Hülle aus Verweichlichung und Leichtsinn von ihm abgefallen. Darunter waren Härte und Männlichkeit zum Vorschein gekommen.
„Ich muss mit Ihnen sprechen, Halliday“, sagte der Herzog und ging voran zur Gutsverwaltung.
Adrian folgte ihm mit dem Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Hoffentlich hatte es nichts mit ihm selbst zu tun! Er schloss die Tür, und nun waren sie allein im kahlen Arbeitsraum. Der einzige Schmuck an den Wänden bestand aus mehreren Gutsplänen.
„Kann ich etwas für Euer Gnaden tun?“, fragte Adrian sichtlich nervös.
„Sie können, und darum bin ich hier. Aber während wir reden, lassen Sie bitte Wein oder Bier und irgendeinen kleinen Imbiss kommen. Brot und Käse genügen. Seit dem Frühstück habe ich nichts mehr gegessen.“
Adrian riss seine blauen Augen weit auf. Er sah auf die Uhr auf dem Kaminsims. Es war kurz vor sechs am Nachmittag. Dass der Herzog seit dem Morgen nichts mehr zu sich genommen hatte und jetzt nur nach Brot und Käse verlangte, war kaum zu fassen.
„Ich habe keine Zeit zu verlieren“, erklärte er ungeduldig.
„Ich werde es sofort veranlassen, Euer Gnaden.“
Adrian lief in ein anderes Zimmer, in dem drei Angestellte an hohen Pulten saßen und Verwaltungsarbeiten erledigten. Er gab den Auftrag an sie weiter und ging zurück zum Herzog. Der stand am Fenster und schlug mit der Reitgerte gegen seinen Stiefel.
„Sie kennen die Gegend?“, fragte er.
„Ja, Euer Gnaden.“
„Haben Sie eine Ahnung, welche Wege die Zigeuner benutzen, wenn sie nach Norden ziehen? Es ist bekannt, dass sie die Landstraßen meiden und geheime Rastplätze haben. Aber die Leute an Ort und Stelle werden doch wohl Einzelheiten wissen.“
„Ich kenne einen ihrer Rastplätze“, meinte Adrian, der sich über die Frage des Herzogs wunderte. „Er ist bei Lynke Green, einem kleinen Dorf, ungefähr sieben Kilometer von hier.“
„Dann wollen wir sofort dorthin“, sagte der Herzog.
„Gewiss, Euer Gnaden. Haben Euer Gnaden einen besonderen Grund dafür?“
„Ich hätte es Ihnen erklären sollen, Halliday. Mein Mündel ist entführt worden.“
„Ravella!“
Adrian hatte den Namen unwillkürlich laut ausgerufen.
Der Herzog nickte. „Ja, man hat Ravella entführt.“
„Dann brauchen Euer Gnaden jede Unterstützung. Haben Sie sich schon ans Militär gewandt?“
Der Herzog sah seinen jungen Verwalter ernst an. „Hören Sie gut zu, Halliday. Es handelt sich um eine delikate Angelegenheit, aber Ihnen vertraue ich und will ehrlich mit Ihnen reden. Ravella ist auf Veranlassung einer Frau namens Deleta entführt worden. Sie ist Sängerin in Vauxhall, und ich war ihr Gönner.“
Adrian seufzte leise.
„Jetzt werden Sie verstehen“, fuhr der Herzog fort. „Wenn es an die Öffentlichkeit käme, würde es einen fürchterlichen Skandal geben. Unglücklicherweise hatte Ravella diese Frau aufgesucht. Sie ist primitiv und eifersüchtig bis zur Raserei. Auf diese Weise hat sie sich nun gerächt.“
„Aber woher haben Euer Gnaden alles erfahren?“
„Als Ravella verschwunden war, hatte sie einen Zettel hinterlassen. Ich habe ihn nicht hier, aber ich kenne den Text auswendig.“
Der Herzog zitierte die Zeilen aus dem Gedächtnis.
„Ihr Vormund ist in höchster Gefahr. Wenn Sie ihn retten wollen, halten Sie Ausschau nach einem Wagen, der Sie an der Hill Street erwartet. Sprechen Sie mit niemandem darüber, sonst wird Schlimmes passieren.“
Adrian sah ihn fassungslos an, und der Herzog berichtete
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