Gleichklang der Herzen
seine Donnerbüchse anzulegen, da waren die Räuber schon am Werk. Sie haben die Passagiere bis aufs Hemd ausgeplündert.“
Ravella war entsetzt, sagte aber nichts.
„Ein Herr, der sich wehrte, bekam eins über den Kopf.
Sie mussten ihn zum Arzt bringen, so schlimm war er dran. Es ist fürchterlich, Miss, wie diese Halsabschneider auf unseren Landstraßen hausen, und keiner tut etwas dagegen.“
„Wird Seine Gnaden durch Hatfield kommen?“, fragte Ravella.
„Ja, Miss, und darum hoffe ich, dass ihm nichts geschieht.“
„Reist er im Wagen, von Reitknechten begleitet?“
„Keineswegs, Miss. Da er in solcher Eile war, hat er nur den leichten, offenen Wagen mit Jason als Begleiter genommen. Jason weiß seine Fäuste zu gebrauchen, das muss man ihm lassen, aber was nützen Muskeln gegen Pistolen? Die Räuber sind bis an die Zähne bewaffnet.“
Ravella war erregt. „Seine Gnaden muss gewarnt werden!“
„Das müsste er, Miss, aber was könnten wir tun? Tom kam, als Seine Gnaden schon fort war, wie ich Ihnen sagte. Den Wagen Seiner Gnaden zu überholen, wenn er selbst kutschiert, ist unmöglich. Keiner kann es besser als er, und Sie sollten mal hören, wie stolz seine Reitknechte darauf sind!“
„Warte, warte!“, rief Ravella aufgeregt und sprang aus dem Bett.
„Ich habe einen Einfall, Kate. Hol mir sofort aus Mrs. Mayhews Schrank die weißen Reithosen und den rosa Rock, den seine Gnaden getragen hat, als er zwölf war. Du erinnerst dich, dass Mrs. Mayhew uns die Sachen gestern Abend gezeigt hat?“
„Reithosen und Rock?“ Kate war fassungslos. „Was haben Sie bloß vor, Miss?“
„Ich selbst werde Seine Gnaden warnen. Schnell, Kate, tu, was ich dir sage! Bring mir auch Stiefel, die kleinsten, die du finden kannst. Sie werden mir schon passen.“
„Oh, Miss Ravella, Sie werden nichts ausrichten, denn Sie können Seine Gnaden nicht einholen. Soll ich nicht nach Mr. Halliday schicken lassen? Vielleicht fällt ihm etwas ein.“
„Ich weiß genau, was ich zu tun habe“, sagte Ravella scharf. „Ich habe keine Zeit, mit dir zu diskutieren. Hol mir die Kleidung, Kate, und lass sofort im Stall Bescheid sagen, dass man mir Starlight sattelt. Sag ihnen, dass ich das Pferd in zehn Minuten am Haupteingang erwarte. Sprich unterwegs mit niemandem, sonst kommt Mrs. Mayhew und macht mir Vorhaltungen. Schnell, beeil dich!“
Erschrocken lief Kate hinaus. Wie Ravella es erwartet hatte, passte ihr die Reitkleidung wie angegossen. Der Rock war nur an den Schultern ein wenig zu weit, und die Stiefel waren etwas zu groß, obgleich der Herzog sie als Achtjähriger getragen hatte.
Ravella raffte ihr Haar zusammen und steckte es unter eine schwarze, samtene Jockey-Kappe. Sie besah sich im Spiegel und war zufrieden.
„Man wird mich für einen Jungen halten. Noch etwas Kate, die Pistolen! Bring sie mir.“
„Miss Ravella, Sie wollen doch wohl nicht mit diesen gefährlichen Feuerwaffen spielen! Damit können Sie sich selbst oder einem anderen etwas antun.“
„Die Pistolen, Kate!“, beharrte Ravella.
Als man sie ihr brachte, steckte sie in jede Tasche eine. Starlight wartete vor dem Eingang. Noch ehe sich Reitknechte und Lakaien beim Anblick Ravellas von ihrem Staunen erholt hatten, war sie schon die Treppe hinuntergelaufen und saß im Sattel.
Sie hatte gerade noch Zeit, um zu rufen: „Sagen Sie Mr. Halliday, dass ich losreite, um den Herzog zu warnen, falls er sich Sorgen um mich machen sollte!“
Das Pferd, das sie schon früher in Lynke geritten hatte, setzte sich in Trab. Ravella hatte einen ausgeprägten Ortssinn. Sie ritt querfeldein. Ihre einzige Chance, den Herzog noch vor Hatfield zu erreichen, lag darin, Abkürzungen zu nehmen und dörfliche Ansiedlungen zu meiden.
Es war ein schöner, warmer Sommertag, aber sehr windig. Der Wind drohte Ravellas Reitkappe wegzublasen, obgleich sie sie fest an den Kopf gedrückt hatte.
Starlight schien zu begreifen, dass eine besondere Leistung von ihm erwartet wurde. Er hielt einen stetigen Galopp inne. Ravella wusste, dass er diese Gangart stundenlang durchhalten würde. Unterwegs sprang das Pferd über einen schmalen Graben und über einige niedrige Hecken. Nur einmal musste Ravella langsamer werden, weil sie durch einen Wald ritt. Schaudernd dachte sie an ihre Flucht vor den Entführern und wie die Zigeuner sie eingefangen und bestraft hatten.
Als Starlight sich einen Weg zwischen den Baumstämmen suchte, wurde ihr klar, dass die Erinnerung daran für
Weitere Kostenlose Bücher