Gleitflug
hatten, lag der Hund, er hatte die Nase unter die Tür geschoben, als wollte er unter ihr hindurchkriechen. Der Geruch von Fleisch und Blut machte ihn hungrig.
Als der Bauer unruhig hin und her rutschte und sich räusperte, wusste Ide, dass sie wieder ans Werk mussten. Sie gingen an dem Hund vorbei, der gleich zu knurren begann und die Lefzen zurückzog. »Pass auf, du Mistvieh«, sagte der Bauer und trat ihn in die Seite, »dass wir dich nicht auch noch einpökeln.« Winselnd duckte sich der Hund an der Tür auf den Boden.
Sie schlugen denselben Weg durch die Wildnis ein. Es war jetzt weniger heiß, im Westen sank die Sonne, ein leiser Wind kam auf. Mücken und Fliegen hatten im weiten Umkreis das Blut gerochen und summten gierig über dem geschrumpften Kadaver. Die Männer bedeckten ihre Gesichter mit Taschentüchern und zogen sich die Mützen bis über die Ohren. Ide wollte am Hinterteil weitermachen, aber der Bauer sagte, er werde mit der Säge den Rücken bearbeiten.
»Wenn du da hinten weiterschneidest, kommst du zu den Innereien, und das stinkt noch schlimmer als zehn tote Schweine.Vor allem an die Gallenblase darf man nicht kommen«, piepste der Bauer und stieg auf den rohen Rücken. Es sah lächerlich aus, aber Ide konnte nicht einmal darüber schmunzeln. Von seinem Humor war in den letzten Jahren nicht viel übriggeblieben. Der Bauer versuchte, die Wirbelsäule mit dem Rückenmark von den Rippen zu sägen, doch es ging zu schwer. Er ächzte. Nach kurzer Zeit gab er auf.
»Das kann ich doch tun«, sagte Ide.
Der Bauer schüttelte den Kopf. »Es lässt sich nicht vermeiden, dass man den Darm oder andere fiese Teile trifft. Und dann ist das Fleisch ungenießbar, dann könnte man auch gleich Kot fressen. Nein, wir schneiden noch das Herz und das Brustfleisch heraus, und was dann übrig ist, zünden wir an.«
Eine Stunde später, als Ide mit dem zweiten Pferd zum Markt fuhr, um Sophia abzuholen, sah er hinter den Hütten dichte Rauchwolken aufsteigen. Der Bauer hatte ein großes Feuer gemacht. Er gönnte dem gierigen Boden kein Haar seines Tieres.
14
In der letzten Stunde nahm Gieles Dollys Klassenfoto mit Super Waling aus seinem Kalender. Er hatte eine Farbkopie gemacht und das Original wieder auf Dollys Tisch gelegt.
Das Foto faszinierte ihn, weil beide sich selbst kaum noch ähnlich sahen. Das Harte in Dollys Gesichtszügen fehlte auf dem Bild. Von einem Leben mit schreienden Kindern, einem toten Mann und einem unverkäuflichen Haus ahnte sie damals noch nichts. Er betrachtete Super Waling. Diese hübsche und schlanke Version irritierte ihn immer wieder.
»Gib mir das mal«, hörte er den Niederländischlehrer sagen. Bevor er das Foto in den Kalender schieben konnte, hatte die braune Hand es ihm schon weggenommen. Herr Muntslag ging in seinen lautlosen Schuhen zu seinem Tisch zurück und setzte sich.
»Seite 30«, sagte er und nickte Gieles aufmunternd zu. Wenn man das surinamisch gefärbte Niederländisch von Herrn Muntslag hörte, konnte man fast glauben, er wolle einen Surinamer imitieren, so übertrieben klang es.
Gieles schlug sein Buch auf und beobachtete seinen Lehrer, der das Klassenfoto studierte. Sein Krauskopf beugte sich immer tiefer darüber. Mindestens fünf Minuten saß er so. Er hörte nicht einmal den Gong. Erst als der Klassenraum sich leerte, blickte er zu Gieles auf, der jetzt vor ihm stand. Er tippte auf das Foto.
»Ich kenne ihn noch von meiner ersten Schule, in der ich Hausmeister war«, sagte er. »Waling. Ein feiner Mann war das. Eigentlich noch ein Junge. Nicht viel älter als seine Schüler. Manche Kollegen waren eifersüchtig auf ihn, das war ganz offensichtlich.« Er zog sein blaues Hemd glatt. Herr Muntslag hatte ein fröhliches Gesicht. Er sah immer so aus, als würde er jeden Moment in Lachen ausbrechen, doch das geschah nur selten.
»Waling konnte sehr gut mit Kindern und Jugendlichen umgehen, auf solche Lehrer werden die Kollegen schnell eifersüchtig. Und als er dann eine große Erbschaft gemacht hat«, er schnalzte mit der Zunge, »wurden manche gelb und grün vor Neid. Es gab eine Menge Gerüchte.« Herr Muntslag schüttelte mitleidig den Kopf. »Ist dein Vater oder deine Mutter auf dem Foto?«
»Meine Mutter«, log Gieles. Er hatte keine Lust auf umständliche Erklärungen.
Herr Muntslag gab ihm die Kopie zurück. »Geh mal früher schlafen. Du bist blass.«
Gieles nahm seinen Rucksack und ging hinaus. Auf dem Schulhof spielten Jungen aus seinem Jahrgang
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