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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
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Almagro war eins meiner letzten Bücher, und das ist nun schon … eine Ewigkeit her. Aber ich habe immer leidenschaftlich gern gelesen.«
    »Ich komme auch nicht dazu. Mein Sohn und meine Tochter sind noch klein. Sie brauchen viel Zuwendung. Ihre Kinder sind gewiss schon erwachsen.«
    Es war eine freundliche Feststellung ohne einen Hauch von Zynismus. Sophia hätte gewettet, dass diese Frau nicht wesentlich jünger war, aber sie verstand, warum sie selbst für viel älter gehalten wurde. Man brauchte nur diese zarte Haut zu sehen, und dann ihre eigene. Jede Berührung ihrer schwieligen Hände hätte die makellose Haut der Dame verletzt.
    »Ich habe keine Kinder.« Schon während sie es sagte, legte sie unbewusst die Hände auf den Bauch, dann begann sie still zu rechnen. Triumphierend reichte sie der Frau das leere Glas. »Ich habe noch keine Kinder.«
    Das Arbeitspferd war rettungslos verloren. Es steckte mit seinen gut zweitausend Pfund im Schlamm fest. Ziehen hatte keinen Sinn, Ide hätte ihm den Hals gebrochen. Solange er es zwischen den Augen streichelte, vergaß es, dass ein uralter Trieb ihm zu fliehen gebot, und blieb trotz allem ziemlich ruhig.
    »Sie hat Durst.« Ide ließ die Stute das Salz von seiner Hand lecken.
    Lange schaute der Bauer einfach nur zu. Bremsen fielen gnadenlos über den riesigen Rücken und die Schultern her.
    »Der Schweif liegt im Schlamm«, sagte er tonlos. »Leg die Äste dicht an sie ran, damit ich zu ihr kann.«
    Er ließ Ide ein zweites Mal allein. Das Pferd sank nicht weiter ein. Es war nur noch ein Rumpf mit einem Hals und dem Kopf. Ide lag immer noch auf dem Bauch und stützte sich mit den Ellbogen auf. Das Pferd stupste ihn mit dem Maul, es fühlte sich anscheinend sicher. Ide wollte bei ihm bleiben, mit ihm zusammen in dieser Weite ausharren. Er erinnerte sich, wie er als achtjähriger Knabe einmal in einem Boot so weit abgetrieben war, bis er die Küste nicht mehr sah. Das Gefühl war überwältigend. Angst hatte er nicht gehabt, obwohl er noch nicht schwimmen konnte. Nach Stunden wurde er zufällig von Fischern gerettet. Seine Mutter wollte nicht aufhören zu weinen, sein Vater brüllte, Ide habe so viel Hilfe des Herrn gar nicht verdient, und trat ihm den Hintern grün und blau.
    Er sah sich um. Auch auf dem Polder gab es nichts, woran der Blick hängenblieb. Er konnte bis zum Horizont schauen, ohne wirklich etwas zu sehen, und gerade dieses scheinbar Unendliche ängstigte ihn, er fühlte sich gefangen. Wollte ihm dajemand etwas sagen? Zuerst wurde Sophia krank, und jetzt versank das Pferd.
    Ide schüttelte die Angst ab und kroch von dem Brett herunter, um mit der Arbeit zu beginnen.
    »Wir helfen dir«, sagte er, mehr um sich selbst Mut zuzusprechen. Vorsichtig legte er weitere Äste dicht neben das Tier, es sah fast so aus, als ruhe es auf einem Floß.
    Nach einer Dreiviertelstunde kam der Bauer zurück, diesmal trug er eine Schürze. Seine mageren Hände umklammerten die Griffe der Schubkarre, auf die er noch mehr Bretter gestapelt hatte. Auf dem Boden der Karre lagen zwei Steingutflaschen mit Wasser, ein Zinkeimer und eine Werkzeugkiste.
    »Sie soll nicht verdursten«, erklärte er mit piepsender Stimme und goss Wasser in den Eimer. Er bückte sich, tauchte für einen Moment seinen erhitzten Kopf hinein und reichte den Eimer dann an Ide weiter.
    Das Pferd trank langsam, als wäre es schläfrig. Vielleicht wollte es Zeit schinden. Es hieß, Pferde spürten genau, wann ihre letzte Stunde geschlagen hatte.
    »Hast du schon mal einen Gaul abgestochen?«, fragte der Bauer. Das Wasser tropfte ihm vom Gesicht.
    Ide schüttelte den Kopf. »Hühner und Kaninchen, aber ein Pferd nie.«
    »Das wird kein Schlachten«, sagte der Bauer. »Das wird eine Riesenschweinerei. Aber wir können es doch nicht hier zurücklassen. Warrens, leg die Bretter auf die Äste«, befahl er und griff nach der Werkzeugkiste.
    Ide kroch mit dem Eimer vom Brett und machte dem Bauern Platz. Der kleine Mann robbte gelenkig zu seinem Pferd und kniete sich dann vorsichtig hin. Die Werkzeugkiste stand zwischen ihnen. Er nahm den Hammer und rieb mit den Fingern der anderen Hand das Dreieck zwischen den Augen und Ohren des Tieres. Das Pferd leckte die Hand, in der er den Hammer hielt.
    »Deine alte Zunge wird man nicht mehr essen können«, flüsterte der Bauer und lächelte gutmütig. »Da würde mein Stiefel noch besser schmecken. Nun ja. Bis bald, Bruintje. Grüß alle. Die Kinder werden sich freuen, dich

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