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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Köpfchen, zwischen Beeten standen niedliche Statuetten, und über allem lag ein Hauch beschaulicher Heiterkeit. Mary beaufsichtigte die Gärtner, führte ihre Hunde spazieren und sog die Frühlingsluft tief in die Brust. Doch kurze Zeit später zerstob das Wohlgefühl: Ein Stadtwagen fuhr den Gartenweg hinauf, viel weiter, als sie es gestattet hatte, die Räder zermalmten den frisch aufgeschütteten Kies. Dem Wagen entstieg schließlich eine Dame von erschreckendem Ausmaß, Marys Schwester Anne. Alles an ihr war raumgreifend: das getürmte Haar, der wogende Busen, das um die fetten Hüften gebauschte Kleid. Anne war wie ein gefräßiges Tier in einer Voliere kleiner Vögel. Nichts Zartes, Liebliches hielt ihrer Gegenwart stand. Marys Möpse kläfften ob der Ruhestörung entrüstet.
    Als sei Annes Anwesenheit nicht genug, quoll hinter ihr eine Schar weiterer Damen aus dem Wagen. An der Kleidung erkannte Mary Annes Kinderpflegerinnen, und zuletzt zwängte sich auch die Amme aus dem Gefährt, die das Kind höchstselbst auf den Armen trug. Ehe Mary aufbegehren konnte, hatte sie es zu Boden gesetzt, wo es jauchzend in ihr Krokusbeet stürmte. Es war ein weißblondes, schmächtiges Kind. Im Winter war es so krank gewesen, dass zu befürchten stand, sein Schöpfer werde es heimholen. Mary allerdings hatte nichts befürchtet, sondern es tief in ihrem Innern erhofft. Wäre das Kind gestorben, so hätte Anne ihr nichts mehr vorausgehabt, denn den Wert der beiden Frauen bemaß nicht der Thron, nicht ihre Leistung als Gattin, sondern allein dieses sabbernde Bürschlein.
    Eine der Damen reichte ihm Spielzeug – einen Stecken mit einem geschnitzten Pferdekopf und einen hölzernen Säbel –, und sogleich sprengte der kleine Soldat drauflos und mähte, ohne zu zögern, Marys schuldlose Blumen nieder. Anne und ihr Haufen klatschten vor Freude in die Hände und ergingen sich in Taubenlauten.
    »Liebste Mary!« Schon wallte Anne auf Mary zu und zog sie an den Busen. Nach den Möpsen, die sie knurrend umsprangen, schlug sie wie nach lästigen Fliegen. »Schaff diese Köter beiseite, ich beschwöre dich!«
    Widerwillig übergab Mary die Leinen ihrem Diener.
    »Ich fand es eine hübsche Idee, dich bei dem prächtigen Wetter zu besuchen, damit du den kleinen William genießen kannst. Seit Gott ihn mir bewahrt hat, bereitet der herzige Junge mir unendliche Freude. Die solltest du teilen, Liebste.« Annes Geruch war ihr nicht angenehm, obwohl die Schwester parfümiert war. Dennoch und trotz ihres zweifelhaften Betragens zog ein jeder sie Mary vor. Sie sei zärtlicher, schlichter, hatte ihre Stiefmutter ins Feld geführt, und ihr Vater verbreitete an europäischen Höfen, seine Anne wisse noch von töchterlicher Treue, während in Mary die gleiche eisige Kälte herrschte wie in den Töchtern des Lear.
    Einzig William ließ sich von Anne nicht blenden. Ihre Völlerei bereitete ihm Übelkeit, und was die Stiefmutter zärtliche Schlichtheit nannte, war für William unerträgliche Einfalt. Einen Herzschlag lang liebte Mary ihren Gatten innig. »Mir fehlt die Zeit zu Kinderspielen«, hörte sie sich sagen und strich Annes Arme von sich ab. »Ich kam nicht zu meiner Zerstreuung in den Garten, sondern um über Staatsgeschäfte nachzudenken.«
    Der Servierwagen mit Erfrischungen, den eine Dienerin auffuhr, lenkte Anne ab. So rasch ihre Fülle es erlaubte, eilte sie dem Mädchen entgegen, ließ sich von diesem und jenem auflegen und stopfte sich alles hinein, ohne innezuhalten. Mary, der selbst der Sinn nach ein wenig Zuckerwerk gestanden hatte, verlor den Appetit. Ihre Schwester reichte Konfekt an die Damen weiter, das diese an den kleinen William zu verfüttern suchten. Der Knabe schmierte sich die erlesene Nascherei zwar über Mund und Kleidung, aß aber nichts.
    Mit dem beladenen Teller in Händen wandte sich Anne wieder Mary zu. »Nimmst du nichts zu dir, Liebste? Zwar scheinst du mir wohlgenährt, aber jetzt fürchte ich doch, diese Geschäfte, über die du nachdenkst, halten dich allzu sehr vom Essen ab. Was beschäftigt dich denn nur so arg?«
    Hielt die Schwester sie zum Narren? »Ich sinne auf eine Lösung der Schottlandfrage«, entgegnete Mary. Dass allein der Name ›Schottland‹ ihr Albträume bereitete, in denen Wilde in unter Schnee begrabenen Höhlen hausten, gälische Wortfetzen röhrten und Menschenfleisch verzehrten, verschwieg sie. »Unser zweiter Staatssekretär, Herr Dalrymple, hat vor Kurzem Bericht erstattet, und der fiel

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