Glencoe - Historischer Roman
wusste, was geschehen war, es war von Tal zu Tal gerauscht wie das Flügelschwingen des Milans: Die Verhandlung war gescheitert. Die Abordnung aus Glencoe hatte die Festung gemeinsam mit einigen Getreuen verlassen, ohne das Dokument zu unterzeichnen. Alle redeten von Sandy Og. Der habe mannhaft die Ehre seines Vaters verteidigt und damit endgültig bewiesen, dass aus der Memme, dem Schlappschwanz ein würdiger Spross des jungen John von der Heide geworden war. Bedauerlich nur, dass er mit der falschen Frau geschlagen war und keine properen Kinder haben würde.
Der Campbell schien ihr Mann keine Begrüßung wert; sie kam wie üblich nicht mit. Ein Blick auf Sandy Og sagte Ceana alles: Er mochte stetig stattlicher im Kreuz und sehniger in den Hüften werden, doch in seinen Augen lagen Erschöpfung und Traurigkeit. Auch wenn er seine Frau nicht liebte, musste ihn kränken, dass sie nicht tat, was ihm gebührte, dass er der Einzige unter den Männern war, den keine zärtlich empfing.
Nicht keine. Ich bin da, mein Geliebter, wie ich immer für dich da war. Sie hatte ihm gezürnt, weil er der Campbell die Tochter gemacht hatte, aber das war vorbei. Er war wie Ceana: hatte ein weiches Herz und brachte es nicht über sich, das Weib abzuweisen, so wie sie selbst den Uralten nicht verließ. Beim Aufstieg gelang es Ceana, ihn beiseitezunehmen und einen kostbarenAugenblick für sie allein herauszuschinden. Als sie sich an ihn schmiegte, erwachte ihr Körper aus der Winterstarre. Niemand verwehrte ihr, dass sie ihm die Wangen küsste, denn in den Augen der anderen war sie seine Schwester. Nur er und ich wissen, wie wenig schwesterlich meine Küsse sind.
Er lachte. Kein Mensch konnte so bedauernd lachen wie Sandy Og. »Ich bleibe nicht lange, Ceana. Die paar Tage, die ich hier bin, muss ich mich endlich um dich kümmern.«
Das musst du in der Tat. Und wohin du zu gehen hast, will ich nicht wissen. »Ich pflege den Uralten«, sagte sie. »Wirst du mich in seinem Haus besuchen?« Wir können die Tür des Verschlages schließen, wir wären allein wie in der Spalte vor dem Coire Gabhail. Ihr fiel der Blick des Uralten ein, aber sie verdrängte ihn; der Mann lag auf den Tod, sie musste endlich aufhören, ihn derart zu fürchten.
»Was ist mit Calum?«, fragte Sandy Og.
»Er ist krank, bekommt keine Luft. Sicher stirbt er bald.« Sie wollte nicht vom Uralten und vom Tod reden, sondern von ihnen beiden und vom Leben. Würde er ihr, wenn er zu ihr kam, sagen, dass er einen Weg gefunden hatte, dass er seine Liebe zu ihr nicht länger ins Dunkle sperren und ersticken wollte?
»Das ist gut von dir«, sagte Sandy Og. »Kann ich dir helfen?«
Sie reckte sich – wie köstlich es war, sich an ihm zu recken! – und gab ihm noch einen Kuss. »Wenn ich nicht zum Brunnen laufen müsste, um Wasser zu holen, wäre mir geholfen.«
Sie hatten die Ebene erreicht. Liebevoll schob er sie von sich, strich ihr über das Haar und nickte. »Dann komme ich morgen und bringe dir Wasser, ja?«
Auf einmal erschien er ihr so verzagt, dass sie es nicht über sich brachte, ihn stehen zu lassen. »War es schlimm in Achallader?«, fragte sie.
Er zuckte mit den Schultern. »Das Schlimmste ist: Ich weiß nicht einmal das.« Damit ging er, und Ceana kehrte in den Verschlag des Uralten zurück.
Der hatte eine harte Nacht, in der er Blut spuckte und unter Röcheln immer wieder versuchte, ein Wort zu krächzen. Erst als die Vögel sangen, erholte er sich so weit, dass er schlafen konnte. Entkräftet fiel auch Ceana auf dem Strohsack neben seinem Lager in Schlaf.
Sandy Og weckte sie durch seine Nähe, obwohl er sich wie ein Wildkater einschlich. Sie schlug die Augen auf, sah ihn mit dem Wasserzuber hantieren und lächelte. Er trug das unter der Achsel zerrissene, verwaschene Hemd vom Vortag und hatte blaue Stoppeln auf den Wangen. Sie setzte sich auf.
»Ach, Ceana. Ich wollte nicht Lärm machen und dich wecken.«
»Du machst keinen Lärm. Ich wache, wenn du da bist, eben auf.«
»Wie geht es Calum?«
»Nicht gut. Ich danke Gott, dass er endlich schläft.«
Sie sah Sandy Og dabei zu, wie er sich niederbeugte und dem Uralten die Schläfe streichelte. Er goss das frisch geschöpfte Wasser in einen Becher, tauchte seinen Hemdzipfel ein und benetzte die rissigen Lippen. Ceana ging zu ihm und umarmte seinen Rücken, lehnte ihr Gesicht an sein Schulterblatt. Irgendwann drehte er sich um und nahm sie in die Arme.
Als sie aufblickte, lächelte er sein verlorenes
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