Glenraven
einfach hier allein lassen!
Schweiß rann über ihr Gesicht. Ihre Finger glitten in Jays Blut ab, das sich zu golfballgroßen Klumpen formte und auf der khakifarbenen Kleidung ihrer Freundin fast schwarze Flecken hinterließ. Sophie versuchte nicht an das Blut zu denken… oder an Jays Ehemann Steven und seinen Freund Lee.
Matthiall durchsuchte sein Gepäck nach weiteren Hilfsmitteln. Zunächst schien er nicht zu finden, was er suchte; aber als er schließlich einige schmutzigbraune Päckchen hervorzog, erschauerte Sophie.
»Die Kompressen in unserem Verbandkasten sind steril«, sagte sie. »Damit können wir einen Druckverband anfertigen.«
»Das wird nicht reichen«, erwiderte Matthiall. »Ein Verband hält die Blutung nicht auf, sondern verlangsamt sie nur. Wir müssen die Wunde schließen.« Er öffnete die kleinen Pakete und brachte eine gebogene Silbernadel und einen braunen Faden zum Vorschein. Der Faden sah aus, als habe man ihn durch den Dreck gezogen.
»Mein Gott«, rief Sophie. »Du willst sie doch nicht etwa damit nähen? Das verfault ihr in der Wunde!«
Matthiall blickte Sophie fest in die Augen. »Das hier ist allerfeinster Darm. Hast du etwas Besseres?«
Sophie schüttelte den Kopf.
»Ich habe das schon öfters gemacht. Oft genug jedenfalls, um zu wissen, was ich tue. Wenn sie überlebt, dann haben wir das der Gnade der Götter zu verdanken… und wenn sie stirbt, dann bestimmt nicht wegen meines Garns.«
Sophie dachte an das Gift und biß sich auf die Unterlippe. »Wann werden wir wissen, ob sie überlebt?« fragte sie.
Matthiall machte ein entschlossenes Gesicht. »Bald.«
Sophie reinigte die Umgebung der Wunde mit Alkoholtupfern und träufelte Peroxid hinein. Dann zog sie eine Rolle weißer Gaze aus dem Verbandkasten.
Matthiall nickte anerkennend. »Sehr gut. Du weißt, wie man eine Wunde säubern muß, bevor man sie behandelt. Das gehört bei den Machnan nicht eben zum Allgemeinwissen.«
»Aber bei uns in North Carolina .« Sophie mochte den überheblichen Ton des Kin nicht.
Matthiall blickte sie verstohlen an und hob die Augenbrauen. »Verzeih mir«, sagte er und wandte sich erneut Jay zu.
Sophie wischte neues Blut mit einer frischen Kompresse ab. Sie versuchte den Druck sowohl ober- und unterhalb der gerissenen Arterie gleichmäßig zu halten. Es durfte kein Blut in die frisch gesäuberte Wunde strömen, bevor Matthiall mit seiner Arbeit fertig war. Der Kin fand den Riß in der Arterie, stach die gebogene Nadel durch die zerfetzte Ader und begann vorsichtig zu nähen.
Matthiall nahm sich Zeit. Er machte kleine, saubere Stiche und wischte jedesmal vorher die Wunde sauber. Die Blutung wurde immer schwächer, bis sie schließlich ganz versiegte. Schließlich war er fertig und Jays Wunde geschlossen.
Sophie hatte trotz ihres Mißtrauens fasziniert zugesehen. Sie hätte nicht im Traum gedacht, daß Matthialls krallenbewehrte Finger zu solcher Feinarbeit fähig sein könnten.
Während Sophie die Wunde verband, untersuchte Matthiall Jays kleinere Verletzungen. Doch sie hatten bereits zu bluten aufgehört, und er benötigte Sophies Hilfe nicht mehr.
Unvermittelt fragte Matthiall: »Kennst du sie schon lange?« Er sah Sophie nicht in die Augen, sondern konzentrierte sich weiter auf seine Aufgabe. Seine Hände bewegten sich langsam, ruhig und sorgfältig. Sophie glaubte, in seiner Stimme ein Beben zu erkennen, das die Ruhe seiner Hände Lügen strafte.
»Den größten Teil meines Lebens«, erwiderte sie.
»Was für eine Frau ist sie?«
»Warum fragst du?«
»Ich weiß nicht. Aber es bedeutet mir viel.«
Sophie blickte zu Matthiall. Schweiß stand auf seiner Stirn und lief in schimmernden Bächen an den Schläfen hinab. Er wirkte sehr angespannt. Matthiall machte sich offensichtlich Sorgen um Jay. Sophie ahnte den Grund mehr, als sie es wußte.
»Sie ist eine gute Freundin. Treu. Tapfer. Sie macht stets das, von dem sie denkt, es sei richtig… ohne Rücksicht auf die Folgen. Sie nimmt nicht gerne Ratschläge an, aber sie gibt auch selten welche. Soweit ich weiß, hat sie niemals ein Geheimnis weitererzählt, das jemand ihr anvertraut hat.« Sophie hielt Jays schlaffe, heiße Hand und wünschte, sie könnte Leben in ihr fühlen.
Matthiall nickte. »Hat sie einen Liebhaber… einen Lebensgefährten? Kinder?«
Sophie versuchte in Matthialls ausdruckslosem Gesicht zu lesen - ohne Erfolg. Sie dachte an Steven und seufzte. »Nein. Niemanden… nicht mehr.«
»Aber sie hatte?«
Sophie
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