Glenraven
fühlte. Sie durfte niemanden lieben - und ganz bestimmt nicht jemanden, der nicht menschlich war.
Wie war sie mit ihm in das Zelt gekommen? Warum war sie überhaupt hier… und wo steckte Sophie? Welche Rolle hatte Sophie in der Nacht gespielt, die sie hier mit Matthiall verbracht hatte?
Verworrene Erinnerungen schwirrten durch Jays Kopf. Ein wunderbares Versprechen; doch darunter lagen Alpträume und fürchterlicher Schmerz. Sie erinnerte sich an Bilder von angreifenden Tieren und trieb durch einen dunklen, kalten Ort in der Nähe des Todes. Ihre Ehemänner und all die Brutalitäten und Betrügereien, die sie in ihrem Leben ertragen hatte, tauchten wieder auf… und Matthiall bewegte sich durch das Minenfeld ihrer Träume, ergriff ihre Hand und führte sie aus dem Schrecken.
Ich liebe ihn, insistierte die Stimme ihres Herzens. Jay verdrängte den Gedanken, bevor er ihr noch mehr Schwierigkeiten bereiten konnte.
Jay setzte sich auf und streckte sich. Die kalte Morgenluft drang in das Zelt und umschlang sie wie die feuchten Tentakel eines Oktopus. Jay zitterte und rieb sich die Arme. Dabei bemerkte sie eine Reihe alter, silbriger Narben an ihren Handgelenken - eine davon war besonders lang und verlief über ihren gesamten Unterarm. Jay runzelte die Stirn. Die Narben waren früher nicht dagewesen. Auf ihrem Rücken hatte sie einige Brandnarben von Zigaretten aus ihrer zweiten Ehe übrig behalten, und an der Ferse besaß sie eine kleine Erinnerung an einen Zusammenstoß mit einer Glasscherbe, als sie neun gewesen war. Aber sie hatte nie Narben an den Handgelenken gehabt. Woher kamen diese Narben?
Und warum war sie so sicher, daß sie letzte Nacht mit dem Tod gerungen hatte?
Jay blickte zu Matthiall. Sein stolzes Gesicht strahlte eine Sanftheit aus, die ihr den Atem verschlug. Jay streckte die Hand aus, um seine Lippen zu berühren… und hielt plötzlich inne. Sie zog die Hand rasch wieder zurück, starrte ihn einen Augenblick mit großen Augen an und rüttelte an seiner Schulter. »Wach auf.«
Matthialls Augen öffneten sich. Er sah hoch und lächelte sie an - ein Lächeln voll unfaßbarer Schönheit und ungebundener Freude.
»O meine Seele«, flüsterte Matthiall.
Niemand hatte sie je so angesehen. Niemand . Jay hatte immer davon geträumt, daß es einmal geschehen würde - aber als es jetzt soweit war, machte sie einen Rückzieher. Er war kein Mensch… kein Mensch . Jay starrte ihn an, und ihr Puls begann zu rasen. Sie leckte sich über die Lippen und schüttelte verunsichert den Kopf. »Nein. Nicht. Ich weiß nicht, was letzte Nacht passiert ist, aber ich kann nicht deine… Seele sein.« Sie schluckte. Ihre Augen füllten sich langsam mit Tränen, und sie mußte blinzeln. »Ich bin niemandes Seele.«
Matthiall beobachtete sie schweigend. Jay spürte seinen Schmerz wegen ihrer Zurückweisung und versuchte, ihn durch Worte zu lindern. »Ich habe letzte Nacht von schrecklichen Dingen geträumt… und ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie ich hergekommen bin… Ich bin sicher, daß es für alles eine logische Erklärung gibt, aber du mußt wissen, ich bin nicht die Art von Frau, die gleich mit jedem Fremden in ein Zelt geht… « Jay kam sich wie ein Idiot vor - aus ihrem Mund sprudelten Worte, die ihr eigenes Herz nicht glaubte. Sie gehörte zu Matthiall, verdammt noch mal, aber statt dessen saß sie seelenruhig da und tat, als wäre das alles nicht wahr. Jay konnte sich ihre Gefühle nicht eingestehen. Angst… das also bewirkte Angst. »Ich meine, schließlich bist du ein vollkommen Fremder… «
»Wir waren uns niemals fremd, aber ich will nicht darauf bestehen. Letzte Nacht wärst du beinahe gestorben, und ich kannte einen Weg, um dir zu helfen; also habe ich es getan.«
Jay nickte und schluckte erneut. »Und ich danke dir dafür - und bevor ich wieder in die Staaten fahre, werde ich schon einen Weg finden… mein Gott, ich werde es dir vergelten… aber… nun ja… das ist nicht, wo ich hingehöre. Ich bin sicher, du verstehst das. Es ist alles so… wie soll ich sagen… keiner meiner Freunde würde es verstehen.«
Matthiall sah Jay aus wissenden, traurigen Augen an, und als ihr schließlich nichts Dummes mehr einfiel, das sie noch loswerden konnte, nickte er langsam und lächelte wie ein Mann, der ehrenvoll seine Niederlage eingesteht. »Ich verstehe, Jay.« Matthiall streckte die Hände aus, und die Spitzen der kleinen Krallen waren deutlich zu erkennen. »Ich verstehe.« Er seufzte, und
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