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Glenraven

Glenraven

Titel: Glenraven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Fachs hatte die Basreliefs von wilden Wölfen und schlanken, geflügelten Löwen in die hölzerne Oberfläche der mit Messing beschlagenen Tür geschnitzt. Als Türklopfer diente ein fast lebensgroßer, zähnefletschender Wolfskopf aus Messing, in dessen Maul ein metallener Ring hing. Wenn jemand den Klopfer betätigen wollte, mußte er seine Hand in das aufgerissene Maul stecken.
    »Ich wette, ein Hausierer überlegt sich zweimal, ob er hier anklopft«, sagte Jay. Sie lachte und wischte sich das Haar aus dem Gesicht. »Das ist einfach unglaublich cool.«
    »Nicht gerade ein Symbol der Gastfreundschaft«, erwiderte Sophie.
    Jayjay schien nicht im geringsten beunruhigt zu sein. »Neee. Inzwischen gibt es hier zwar Gästezimmer, aber im Buch steht, daß das Haus früher einmal eine Art Landsitz von irgendwelchen Adeligen war.«
    Sophie mochte den Ort, obwohl er sie ein wenig einschüchterte. »Ich wünschte, wir hätten reserviert.«
    »Die einzigen Gasthäuser im ganzen Land, die Reservierungen entgegennehmen, sind das Schloß, das ich für uns in Reikstor gebucht hatte, und das in Dinnos. Überall sonst heißt es: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.«
    »Ich frage mich, warum?«
    Jayjay zuckte mit den Schultern. »Kein Telefon, nehme ich an. Dadurch werden Reservierungen zu einem ziemlichen Problem.«
    Sophie nickte. »Klingt logisch.«
    Jayjay griff in das Wolfsmaul und klopfte. Es klang wie ein Donnerschlag. Jay ließ den Klopfer fallen und riß die Hand zurück. Sie blickte Sophie mit großen Augen an und schüttelte den Kopf. »O Mann! Ein bißchen zu dramatisch für einen lausigen Türklopfer.«
    »Ein wenig Elektrizität und eine Klingel wären eine ziemliche Verbesserung.«
    Jay legte den Kopf auf die Seite und untersuchte die Tür. »In diesem Fall bestimmt. Es kommt jemand, also hat es zumindest funktioniert.«
    Die eine Hälfte der mächtigen Tür öffnete sich beinahe geräuschlos. Ein untersetzter, kleiner Mann trat heraus, der in einen übertrieben wirkenden Wappenrock, ein Wams aus schwarzer Seide und eine enge schwarze Hose gekleidet war. Er blickte von Jay zu Sophie und von Sophie zu Jay. Offensichtlich schätzte er sie ab. Der kleine Mann sah zu ihren Pferden und wandte sich dann wieder den beiden Frauen zu. Ihm schien nicht zu gefallen, was er sah. Er hob eine Augenbraue und streckte die Nase in die Luft. Dann stellte er eine unverständliche Frage.
    Jay seufzte, blätterte zum hinteren Teil ihres Reiseführers und markierte eine Zeile mit dem Zeigefinger. »Teh-HOO-thin RO-sal eff-EL-due dim-YAH?« Sophie bemerkte, daß Jay unsicher und irgendwie eingeschüchtert war. Normalerweise erweckte ihre Freundin stets den Eindruck, als würde sie sich auch noch in der ungewöhnlichsten Situation souverän zurechtfinden.
    Die Nase des kleinen Mannes senkte sich wieder, und er schien - für einen kurzen Augenblick - verwirrt zu sein. Er schürzte die Lippen, blickte wieder zu den Pferden und erneut zu den beiden Frauen. Dann streckte er seine Hand in einer unmißverständlichen Geste aus.
    »Bestech ihn, Jay«, sagte Sophie. »Wahrscheinlich sehen wir nicht reich genug aus, um hier übernachten zu dürfen.«
    Jay kramte in ihrer Tasche und zog zwei Silberstücke hervor. Als sie dem Mann das Geld anbot, blickte er sie beleidigt an und deutete vehement auf den Reiseführer.
    »Du willst das hier?« Jayjay versteifte sich und blickte hilfesuchend zu ihrer Freundin. Sophie wußte, wie Jay sich fühlte - das Buch bedeutete so etwas wie einen Anker. Wenn der Mann es behalten würde, steckten sie wirklich in Schwierigkeiten. Trotz ihrer Bedenken reichte Jay ihm das Buch.
    Der kleine Mann hielt den Reiseführer in den Händen, ohne ihn zu öffnen. Er erblaßte. Ein dünner Schweißfilm bildete sich auf seiner Stirn, und er sah die beiden Frauen mit einem Blick an, wie Sophie ihn erst einmal gesehen hatte. Letzten Monat hatte sie einen Hirsch überfahren, der mit ähnlich großen Augen in ihren Scheinwerferkegel geblickt hatte. Der kleine Mann schüttelte sich und gab Jay das Buch zurück. »Was wollt Ihr hier?« fragte er auf englisch.
    Zuerst dachte Sophie, er würde danach fragen, was sie von ihm wollten; aber dann wurde ihr klar, daß er nicht ›Was wollt Ihr hier?‹, sondern ›Was wollt Ihr hier ?‹ gefragt hatte. Er hatte die beiden Frauen anscheinend an einem anderen Ort vermutet… aber wie konnte das sein?
    Sophie und Jay blickten sich verwirrt an: »Wir suchen ein Zimmer«, erklärte Sophie und wiederholte

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