Glenraven
überrascht genug wäre, um unfreiwillig einige Informationen preiszugeben, wenn er die ›Beförderung‹ ohne Murren entgegennahm.
Sein Plan war nicht aufgegangen. Matthiall schlich durch die Dunkelheit und wartete darauf, daß etwas geschah. Er hatte keine Ahnung, was Aidris von ihm erwartete, und das machte ihm Sorgen. Bis jetzt war es ihm immer gelungen, in ihren Intrigen ein System zu erkennen.
Vielleicht hoffte die Schutzherrin, daß Bewul ihn auf dieser Mission töten würde. Die restlichen Mitglieder der Jagdgruppe würden ihm entweder dabei helfen… oder sich zumindest nicht einmischen. Je mehr Matthiall darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher erschien es ihm. Wie konnte die Schutzherrin glauben, daß er ihr die Geschichte von den beiden Machnan auf dem Weg nach Cotha Faldan abnahm, die angeblich eine ernsthafte Bedrohung für ihre Herrschaft darstellten - mitten durch den Wald der Alfkindir und vorbei an ihren widerwärtigen Wächtern? Wie konnte Aidris denken, daß er ihr abnahm, sie selbst würde es glauben?
Einer der Späher stieß einen trillernden Pfiff aus. Die Eindringlinge waren entdeckt worden. Als Matthiall den Pfiff vernahm, zuckte er unwillkürlich zusammen. Er war der festen Überzeugung, daß nun der Zeitpunkt gekommen war, an dem Bewul und seine Anhänger ihn umbringen würden.
Plötzlich bemerkte Matthiall zu seiner Linken ein flackerndes Licht. Er rannte auf das Licht zu. Die Wächter - sie hatten irgend etwas gefunden. Wenn Aidris Akalan ausnahmsweise die Wahrheit gesagt hatte, dann würde er dort die beiden Machnan-Magier finden, die die Kin vernichten wollten.
KAPITEL NEUNUNDZWANZIG
Jayjay hatte von einer unterirdischen Welt geträumt, von einem versteinerten Wald, von Flüssen aus Diamant und von unzähligen phantastischen, geflügelten Kreaturen mit Reißzähnen und wölfischem Blick. Der Traum war so intensiv gewesen, daß sie kaum in die Wirklichkeit zurückfand, als sie von Sophies Rufen geweckt wurde. Selbst in diesem Augenblick, als Jay in den letzten Minuten ihres Lebens gegen die kreischenden Stimmen in ihrem Kopf ankämpfte, konnte sie den Traum nicht vergessen.
Irgend etwas kommt, dachte sie.
Was für ein dummer Gedanke - irgend etwas war bereits hier! Was auch immer noch kommen mochte - es wäre überflüssig… und sowieso zu spät.
Während das Heulen des Windes immer weiter anstieg, rissen sich die letzten beiden Pferde los - das eine brach den Ast einfach ab, an dem es angebunden war, und das andere schaffte es irgendwie, das Halfter über den Kopf zu streifen. Die Tiere flohen gemeinsam, während sie nach Wesen traten und bissen, die im Licht der Fackeln nicht zu sehen waren. Das angstvolle Wiehern der Pferde verschwand in der Ferne… und wich einem schrecklichen Laut, der Sophie den Magen umdrehte. Plötzlich herrschte Stille.
Der Wind erstarb schlagartig, als hätte er niemals existiert. Ein schimmernder Katarakt aus unzähligen Lichtern ergoß sich aus der leuchtenden Säule, die das Herz des Tornados gebildet hatte. Die beiden Frauen betrachteten das Schauspiel mit einer Mischung aus Faszination und panischer Angst.
Sophie richtete sich langsam auf und legte eine Hand auf Jays Arm. »Jetzt sind wir dran.«
»Wir könnten ein Wunder gebrauchen«, erwiderte Jay.
Sophie stieß ein unsicheres Lachen hervor. Sie trat näher und fragte: »Hast du eine Idee, wie wir hier wieder rauskommen?«
»Klar. Die Ideen sprudeln nur so aus mir heraus.«
»Wir haben keine Chance, oder?« Sophie wirkte resigniert.
»Äh… nein.« Jayjay hatte einen Kloß im Hals. »Ich glaube, wir haben das Ende der Straße erreicht.« Sie hob trotzig das Kinn und straffte die Schultern. Wenn es mir im Leben auch an Würde gefehlt hat, dann will ich wenigstens aufrecht sterben.
Neben ihr wischte Sophie mit der Hand über ihre Wange, schniefte und nickte zustimmend.
»Du warst eine tolle Freundin«, sagte Jayjay. Vielleicht blieb noch Zeit genug, um alles loszuwerden, was ihr auf der Seele lag. »Ich hatte gehofft, diese Reise würde dir helfen… und mir auch. Es tut mir leid, wenn es nicht geklappt hat.«
»Ich rede mir die ganze Zeit über ein, daß ich jetzt vielleicht Karen wiedersehen werde… « Sophie wischte sich energisch über die Augen.
»Ich weiß.«
»Aber… Was, wenn es nichts… anderes gibt?« fragte Sophie.
»Keine Ahnung.«
Jay und Sophie standen inmitten der schrecklichen Stille und warteten. Vor ihren Augen bewegten sich die Lichter immer mehr
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