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Gletschergrab

Gletschergrab

Titel: Gletschergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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nochmal!«
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    »Wir haben die Angelegenheit unterschätzt. Wird nicht wieder vorkommen.«
    »Wird nicht wieder vorkommen!«, schrie Ratoff. »Wird nicht wieder vorkommen! Das hätte nie vorkommen dürfen!«
    »Wir kommen gerade aus der Wohnung ihres Vaters. Er ist nicht zu Hause. Sie hat ihm eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, die wir mit in die Botschaft nehmen und dort übersetzen lassen. Vielleicht ergibt sich daraus ein Hinweis.«
    »Verdammte Scheiße! Sie weiß zu viel. Viel zu viel.«
    »Was ist mit Keflavík?«
    »Es könnte sein, dass sie auf dem Weg zu unserem Stützpunkt ist. Ihr Bruder hat was über einen Freund auf der Basis erzählt.
    Sie hat ganz plötzlich mit ihm Schluss gemacht und ihn schon seit einiger Zeit nicht mehr getroffen. Vielleicht sucht sie Hilfe bei ihm und will sich dort Informationen beschaffen.«
    »Roger«, sagte David.
    »Und wehe, ihr vermasselt die Sache nochmal.«
    »Roger«, wiederholte David. Ratoff gab ihm den Namen des Mannes durch und beendete das Gespräch.
    Diese verdammten Idioten, dachte Ratoff. Er verließ das Kommunikationszelt und betrachtete das Flugzeug. Wie die anderen Angehörigen der Spezialeinheiten trug er einen dicken weißen Overall und eine Schneebrille, die er sich in die Stirn geschoben hatte. Carr hatte ihn nicht genau darüber informiert, was sich im Flugzeug befand, und er war deshalb sehr gespannt, was er dort finden würde. Er kannte die Geschichte des Flugzeugs in groben Zügen, wusste, dass es Ende des Zweiten Weltkriegs von Deutschland nach Island geflogen, in ein Unwetter geraten und abgestürzt war. Ob Reykjavik der endgültige Bestimmungsort gewesen war oder ein anderer Flughafen, ob die Maschine womöglich sogar in die USA hatte 78

    fliegen sollen – er wusste es nicht. Er wusste auch nicht, wer die Passagiere waren.
    Nachdenklich ging er zum Flugzeug zurück und spähte wieder in die Kabine. Ratoff hatte versucht, sich den Rest der Geschichte zusammenzureimen, aber ihm war klar, wie hoffnungslos das war. Seine Neugier würde erst gestillt werden, wenn er das Innere der Maschine betreten konnte. Er drehte sich um und ging zu seinem Zelt. Er hatte das Gesicht des jungen Mannes vor Augen, als er ihm vom Tod seiner Schwester erzählte. Sah die Qual in seinen Augen, bevor er sie auslöschte.
    Der Tod der beiden jungen Männer berührte Ratoff überhaupt nicht. Bei all seinen Missionen rechnete er unvorhersehbare Zwischenfälle ein. Nichts anderes waren sie in seinen Augen. Er setzte alles daran, seinen Auftrag zur Zufriedenheit zu erledigen, und alles, was ihn daran hinderte, musste aus dem Weg geräumt werden. Carr hatte gefragt, ob sie jung gewesen waren. Er war weich geworden. Vielleicht würde er dasselbe fragen, wenn er ihm vom Tod der Frau berichtete. Ratoff musste an David und Simon denken.
    Er ließ sich mit Carr verbinden.
    »Sie ist vermutlich auf dem Weg zur Basis in Keflavík«, sagte er, als Carr ans Telefon kam, »und ich glaube, ich weiß, zu wem sie dort will.«
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    Das Meeting verlief sehr förmlich, auch wenn der vereinbarte Treffpunkt eine durchaus andere Atmosphäre ausstrahlte. Von isländischer Seite waren der Premierminister und der Außenminister erschienen, auf besonderen Wunsch der amerikanischen Militärbehörden, hatte es geheißen. Ihnen gegenüber saßen der Admiral der Basis in Keflavík als Oberbefehlshaber der in Island stationierten US-Streitkräfte und der General, der den Botschafter der USA während seiner plötzlichen und unvorhergesehenen Abwesenheit vertrat. Die Angehörigen der isländischen Regierung waren so kurzfristig zu diesem Meeting gebeten worden, dass es fast an diplomatische Ungehörigkeit grenzte, falls ein solches Vorgehen nicht auf zwingende Umstände zurückzuführen war. Die isländischen Minister hatten keine Ahnung von dem Anlass der Zusammenkunft. Sie fuhren gemeinsam im Auto des Premierministers zu dem Treffen, das in einer Hotelsuite im Zentrum von Reykjavik anberaumt war. Auf dem Weg sprachen sie ein paar Möglichkeiten durch. Am wahrscheinlichsten erschien ihnen ein plötzlicher Besuch des amerikanischen Präsidenten. Das Gipfeltreffen zwischen Reagan und Gorbatschow, für das es fast keine Vorbereitungszeit gegeben hatte, war ihnen noch in guter Erinnerung.
    Der Admiral nahm sie in Empfang, als sie die Suite betraten.
    Sie waren ihm bereits einige Male bei offiziellen Empfängen begegnet. Er machte sie mit dem General bekannt, den er als Immanuel Wesson

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