Gletschergrab
Jahrhundert. Ich kann nicht aufhören, daran zu denken. Immer öfter, je mehr die Jahre vergehen. Ich sehne mich danach, ihn wiederzusehen. Es wäre für mich wie eine Reise zurück in die Vergangenheit.«
»Schade, dass wir diesmal keine Astronauten haben, um die Aufmerksamkeit von uns abzulenken.«
Miller lächelte in sich hinein.
»Die Isländer waren immer empfindlich, was die Militärbasis in ihrem Land betrifft, was ja durchaus verständlich ist«, sagte er. »Die Unabhängigkeit bedeutet ihnen viel. Viele haben es als Verrat empfunden, dass dauerhaft ausländische Streitkräfte im Land stationiert wurden. Sie waren uns gegenüber immer auf 107
der Hut. Wir haben nie außerhalb der Basis operieren können, ohne große Aufmerksamkeit zu erregen und Proteste und Kontroversen auszulösen.«
Miller lächelte.
»Und auf einmal konnten wir überall den Verkehr absperren, unsere Truppen durchs ganze Land verlegen – und niemand hat gemerkt, worum es in Wirklichkeit ging.«
»Der arme Armstrong. Er hat nie gewusst, was er eigentlich in Island sollte«, sagte Carr.
»Dort hat er einen weiteren großen Schritt für die Menschheit gemacht«, sagte Miller.
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Die Männer der Spezialeinheit schaufelten unermüdlich. Im Licht der Morgendämmerung zeichnete sich das Flugzeug immer deutlicher ab. Sie arbeiteten gleichzeitig an beiden Seiten des Rumpfes und türmten hohe Schneewälle neben der Maschine auf. Der Bug des Flugzeugs ragte in einem Winkel von zehn Grad aus dem Eis heraus, aber das Heck war noch in dem dichten, harten, kaum zu durchdringenden Eis begraben.
Die Türen der Maschine lagen auf der linken Seite hinter der Fensterreihe und waren ebenfalls noch unter der Eisdecke verborgen. In das Innere des Flugzeugs schien nur wenig Schnee eingedrungen zu sein. Nach dem zu urteilen, was man bislang von der Maschine sehen konnte, schien sie relativ unbeschädigt zu sein.
Die starken Scheinwerfer, die tagsüber abgeschaltet wurden, tauchten die Fläche nachts in ein gelbliches Licht. Von ihnen stieg ein feiner Dampf auf, der über dem Gletscher schwebte.
Auf dem Eis waren zahlreiche weiße Zelte aufgeschlagen, in denen rund um die Uhr Gaslampen leuchteten. Das größte war das Kommunikationszelt. Große transportable Dieselgeneratoren sorgten für Strom. Überall standen Treibstofffässer herum, Motorschlitten und Kettenfahrzeuge waren neben den Zelten aufgestellt, außerdem gab es ein paar große Paletten, auf denen die Flugzeugteile vom Gletscher transportiert werden sollten.
Schneidbrenner waren auf den Gletscher gebracht worden, um das Flugzeug zerlegen zu können. Die Flugzeugteile sollten auf den Paletten bis zum Rand des Gletschers gezogen werden, wo die Sattelzüge bereits darauf warteten, sie zur Basis zu transportieren.
Die Arbeit kam gut voran. Auf dem Gletscher herrschte Windstille bei fünfzehn Grad Frost. Die Spezialeinheiten 109
brachen mit Spitzhacken das harte Eis auf. Eine kleine Gruppe arbeitete mit den Schneidbrennern daran, das Flugzeug auseinander zu schneiden. Ratoff stand vor dem Kommunikationszelt und betrachtete den blauen Schein der Schneidbrenner. Er ging davon aus, dass er die Operation wie geplant abschließen konnte. Es war ein Sturm vorhergesagt, der sich aber schnell wieder legen sollte.
Es war in vieler Hinsicht ein Glück, dass das Flugzeug im Winter wieder aufgetaucht war. Natürlich musste man mit Wetterumschwüngen rechnen, und die Straßenverhältnisse konnten schwierig sein, aber die Dunkelheit war ein willkommener Schutz und die Region zu dieser Zeit fast menschenleer.
An der abgewandten Seite des Flugzeugs hielten die Männer plötzlich mit dem Schneeschaufeln inne und starrten hinunter auf das Eis. Nach einem kurzen Augenblick rief einer von ihnen Ratoff herbei, der sofort zum Wrack eilte. Er bückte sich unter dem Bug der Maschine hindurch, trat zu den Soldaten und sah dort ein Bein, das neben dem Flugzeug zum Vorschein gekommen war. Der Fuß steckte in einem schwarzen Militärstiefel, der bis fast ans Knie reichte, darüber hing ein graues Hosenbein. Er befahl den Männern, die Leiche auszugraben, und bald kam alles ans Licht, was davon übrig war.
In Ratoffs Augen sah es danach aus, als habe jemand die Leiche neben das Flugzeug gelegt, was darauf hindeutete, dass einige der Passagiere den Absturz überlebt hatten. Sie hatten sich offenbar frei bewegen und die Toten versorgen können. Der Mann steckte in der Uniform eines ranghohen deutschen Offiziers.
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