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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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Frau. Außerdem ist sie krank. Und wir haben einen Sohn. An ihn muß ich auch denken.«
    »Wie alt ist Ihr Sohn?«
    »Fast sechzehn.«
    »Was für eine Farbe haben seine Augen und sein Haar?«
    »Also wirklich, das kann ich Ihnen nun beim besten Willen nicht sagen. Keine besondere Farbe. Er ist doch kein Baby mehr.«
    »Sind seine Hände noch zart?«
    »So würd’ ich das nicht sagen.«
    »Sie lieben also Ihren Sohn?«
    »Wie man seinen Sohn liebt, ja, natürlich.«
    »Ich würde ihn lieben, wenn er mein Sohn wäre, und meine Frau auch.« Es schien Maybury, als habe der andere das mit wahrer Inbrunst gesagt. Darüber hinaus sah er mindestens doppelt so traurig aus wie zu dem Zeitpunkt, als Maybury ihn zum ersten Mal sah: doppelt so alt und doppelt so traurig. Es war alles absolut lächerlich, und Maybury fühlte sich wirklich müde, auch wenn Bannards Körper unheilvoll über ihm aufragte und überdies so verändert wirkte.
    »Für mich ist es jetzt höchste Zeit«, sagte Maybury. »Tut mir sehr leid. Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir jetzt zu schlafen versuchten?«
    Augenblicklich erhob Bannard sich, wandte Maybury den Rücken zu und ging, ohne ein Wort zu sagen, zu seinem Bett, was die ganze Angelegenheit noch peinlicher gestaltete.
    Wieder blieb es Maybury überlassen, das Licht zu löschen und sich erneut seinen Weg durch die Finsternis zu seinem Bett zu bahnen.
    Bannard hatte entschieden mehr als nur einen Hauch des Parfums zurückgelassen, was, trotz all der sonderbaren Umstände, Maybury erneut zu einem schnellen Schlaf verhalf.
    Konnte die absurde Unterhaltung mit Bannard ein Traum gewesen sein? Zweifellos entstammte zumindest das nächste Ereignis einem Traum, denn auf einmal war Angela in ihrem Nachthemd da, die Hände auf ihren armen, kranken Kopf gepreßt, und schrie: »Wach auf! Wach auf!« Maybury blieb nichts übrig, als ihrem Befehl Folge zu leisten, doch dann stand an Angelas Stelle dieser Bursche da, dieser Vincent, mit dem Frühstückstee. Das Licht brannte wieder - aber darum kümmerte er sich jetzt nicht.
    »Guten Morgen, Mr. Maybury.«
    »Guten Morgen, Vincent.«
    Bannard hatte seinen Tee schon. Vor beiden stand ein Tablett mit einer Kanne, einer Tasse, Milch- und Wasserkännchen und einem Teller mit Toast und Butter. Für jeden gab es acht große, dreieckige Toastscheiben.
    »Kein Zucker«, rief Bannard aufgeräumt aus. »Zucker tötet den Appetit.«
    Kompletter Blödsinn, sann Maybury vor sich hin; während er zu Bannard herüberschielte, fiel ihm die alberne Unterhaltung von gestern nacht wieder ein. Im Lichte des Morgens - auch wenn es sich genaugenommen immer noch um dieselbe elektrische Beleuchtung handelte - sah Bannard wieder mehr wie er selbst aus mit seinem flaumig-rötlichen Haarkranz. Er machte einen recht ausgeruhten Eindruck, während er genüßlich seine Portion Toast mit Butter verspeiste. Maybury hielt es für das beste, so zu tun, als folge er seinem Beispiel. Von dort hinten konnte Bannard die Einzelheiten ohnehin kaum ausmachen.
    »Ab ins Bad, alter Knabe«, krähte Bannard.
    »Bitte nach Ihnen«, entgegnete Maybury düster. Da er unter den gegebenen Umständen keine Möglichkeit sah, sich des Toastes und der Butter zu entledigen, hoffte er, sie mit Hilfe des Handtuchs in seiner zu klein geratenen Pyjamajacke verbergen und dann durch die Toilette spülen zu können. Sogar Bannard würde wohl keine Anstalten machen, ihn zu umarmen und so den Schwindel auffliegen zu lassen.
    Unten im Salon waren bereits alle versammelt; Falkner saß der Gesellschaft in undefinierbarer, aber wie immer jovialer Stimmung vor. Fahles, nichtsdestoweniger natürliches Tageslicht sickerte von der Außenwelt herein, doch Maybury bemerkte, daß die Eingangstür noch immer mit Riegel und Kette versehen war. Darauf achtete er als erstes. Die allgemeine Erwartung war spürbar - Erwartung des Frühstücks, wie Maybury dachte. Bannard, krabbenähnlicher denn je, verlor sich in der Menge. Cécile konnte er nicht entdecken, doch bemühte er sich, diskret Ausschau zu halten. Einige der Leute erschienen unbekannt oder doch zumindest verändert. Vermutlich handelte es sich um weitere Beispiele jenes Phänomens, das ihm in Bannards Person schon begegnet war. Falkner kam sofort zu ihm, dem widerspenstigen, doch immer noch privilegierten Außenstehenden, herüber. »Ich kann Ihnen ein ausgezeichnetes Frühstück versprechen, Mr. Maybury«, vertraute er ihm an. »Linsen, frischer Fisch, Rumpsteak und hausgemachter

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