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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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sich doch alle Mühe gab, rücksichtsvoll zu sein! Erneut fuhr ihm durch den Kopf, daß die arme Angela sich in einer weitaus größeren Misere befinden mußte.
    Während er an Angelas mißliche Lage dachte und daran, wie lieb sie doch im Grunde ihres Wesens war, fühlte Maybury sich wacher als je zuvor, und so erwartete er Bannards Rückkehr. Schlaf war bis dahin ohnehin unmöglich.
    Aber er kam nicht. Maybury begann sich schon zu fragen, ob etwas mit seinem Zeitgefühl passiert war - womöglich etwas von medizinischer Bedeutung. Den ganzen Abend, seit er sich für die ›Abkürzung‹ entschieden hatte, hatte er auch an seinem Platz im Universum, vor allem aber an dem, was man gemeinhin ruhige Nerven nannte, zu zweifeln gelernt. Nun gab es Grund genug zur Sorge.
    Dann drang aus irgendeinem Winkel des Hauses ein markerschütternder, ohrenbetäubender Schrei, gefolgt von einem zweiten und dritten. Man konnte unmöglich feststellen, ob der Lärm aus der Nähe oder aus größerer Entfernung kam, geschweige denn, ob er von einem männlichen oder weiblichen Wesen stammte. Maybury hatte nicht gewußt, daß der menschliche Organismus, und sei es in der äußersten Not, ein derartiges Geräusch hervorbringen konnte. Es war erschütternd, diesen Lärm auch nur zu hören, vor allem in der abgeschlossenen, heißen, totalen Finsternis. Auch war es nicht rasch vorüber: Die Schreie hielten an, ein wahrer Schreikrampf, bis Maybury sich auf die Lippen beißen mußte, um nicht auch loszubrüllen.
    Er rollte sich aus dem Bett und verhaspelte sich auf der Suche nach den Vorhängen; er brauchte Licht und möglichst auch frische Luft. Nach kurzer Zeit fand er die Vorhänge, zog den einen und dann den anderen Store zurück.
    Es wurde kein bißchen heller als zuvor.
    Vielleicht Fensterläden? Vorsichtig tastete sich Mayburys Hand vor. Sie fand weder Holz noch Metall.
    Der Lichtschalter. Er mußte den Lichtschalter finden.
    Während Maybury durch die Dunkelheit stolperte, erstarb das Schreien in einem höllischen Gurgeln - gerade so, als habe der Leidende, bevor er ohnmächtig wurde, im Schwall erbrochen, oder als sei er aus Rücksicht auf die anderen gleich ins Jenseits gegangen. Maybury setzte seine Suche fort.
    Noch schwerer als zuvor hätte er sagen können, wieviel Zeit verstrichen war, doch schließlich fand er den Schalter, und zumindest das letzte Geheimnis klärte sich auf: Hinter den zurückgezogenen Vorhängen war, wie man so sagt, ›nichts als Wand‹. Offenbar hatte das Zimmer keine Fenster. Die Vorhänge waren reine Dekoration.
    Auf einmal war wieder Ruhe eingekehrt, es war totenstill. Bannards Bett war so säuberlich gemacht, wie das Zimmermädchen es wohl tagsüber zurücklassen mochte.
    Maybury riß sich Bannards Pyjama vom Leib und schlüpfte, so rasch es sein Zustand erlaubte, wieder in seine Kleidung. Zwar verfolgte er damit kein besonderes Ziel - doch erschien es ihm angemessener, vollständig bekleidet zu sein. Flüchtig sah er in seine Brieftasche, um zu überprüfen, ob sein Geld noch da war.
    Er schlich zur Tür und versuchte, sie behutsam zu öffnen, um herauszufinden, wie er sich am besten aus dem Staub machen konnte.
    Die Tür ließ sich nicht öffnen. Sie bewegte sich nicht im geringsten. Die Tür war abgeschlossen worden, wenn man nicht gar weitere Vorkehrungen getroffen hatte. Sollte Bannard das bewerkstelligt haben, so war er dabei erstaunlich lautlos vorgegangen, erstaunlich erfahren.
    Maybury versuchte, ruhig nachzudenken.
    Schließlich pellte er sich, nun jedoch hastiger als zuvor, aus seinen Kleidern, legte sie ordentlich ab und zog wieder Bannards Schlafanzug an. Es wäre vernünftig gewesen, das Licht wieder auszumachen, ins Bett zu gehen - wenn möglich zwischen die Laken - und wach zu bleiben. Für Maybury war jedoch das Löschen des Lichts und die daraus entstehende vollkommene Dunkelheit, wie sinnvoll auch immer, mehr, als er ertragen konnte.
    Hilflos auf der Bettkante sitzend, versuchte er, die Angelegenheit zu durchdenken, vernünftig zu planen. Würde Bannard nach so langer Zeit überhaupt zurückkehren? Wenigstens noch in dieser Nacht?
    Ihm wurde bewußt, daß die Birne zu flackern und zu knistern begonnen hatte. Und dann, ohne noch ein weiteres Geräusch von sich zu geben, ging sie einfach aus. Maybury glaubte nicht, daß dies ein letztes Gouvernantenstück der Autoritäten des Hauses war, um die Nachtruhe endgültig herzustellen. Vielmehr hatte just diese Glühbirne ihren Geist aufgegeben,

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