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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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weil sie es so wollte. Zumindest wollte sie es so, seit sie Hilary kannte. Wie sie es vorher gehalten hatte, wußte niemand zu sagen. Was Hilary anging, so kümmerte sich stundenlang niemand darum, ob er nach Hause kam oder nicht. Die Familie hatte eine Zugehfrau, Mrs. Parker, die täglich kam und alles Nötige, so gut sie eben konnte, erledigte (Hilarys Vater wäre nie auf den Gedanken gekommen, so eine Person im Hause wohnen zu lassen). Mrs. Parker mangelte es an der notwendigen Autorität, Hilary Disziplin beizubringen; und da sie als durch und durch modern denkende Frau eine Verfechterin antiautoritärer Erziehung war, verspürte sie auch keinerlei Neigung dazu. Wenn Hilary zur Teezeit erschien, bekam er seinen Tee. Wenn nicht, sparte man sich Arbeit.
    Hilary und Mary unternahmen nicht enden wollende Wanderungen, wobei sie den Großteil der Strecke Hand in Hand zurücklegten. Im Herzen der ziemlich trostlosen und entstellten Landschaft von Südsurrey, einst eine ruhige ländliche Gegend, entdeckten sie kleine, aufgegebene Kiesgruben oder schlüpften, wenn es regnete, in leerstehende, verfallende Hütten. Dort saßen sie, eng aneinandergeschmiegt oder der eine zu Füßen des anderen, führten endlose Gespräche und hielten sich sanft in den Armen. Er wühlte sich dann mit seinen Fingern durch ihre wilde Mähne und machte Witze über die Elektrizität, die von ihren Haarspitzen auf ihn übersprang. Sie streifte dann seinen Nacken unter dem verwaschenen roten Hemd mit ihren Lippen und wuschelte sich durch das weiche blonde Dickicht seiner Haare. Sie kannten bald alle Nebenstraßen und Trampelpfade von Südsurrey im Umkreis von sechs bis acht Meilen wie ihre Westentasche; und alsdann gingen sie daran, gemeinsam eine Geheimkarte dieses Gebiets zu zeichnen - eines der schönsten Dinge, die sie je unternommen hatten. Unablässig arbeiteten sie an der Karte, korrigierten sie mit Hilfe eines Radiergummis und eines Bleistifts und malten sie mit Farbstiften aus, die sie von Briarside mitgebracht hatten. Ihre Expeditionen wurden ihnen nie langweilig, da sie niemand dazu gezwungen hatte.
    Eines Tages bekamen sie es mit der Angst zu tun.
    Sie waren einem sandigen Pfad gefolgt, der ihnen noch nicht vertraut war, als sie auf ein großes, von einer Steinmauer umgebenes Anwesen stießen. Die Mauer war hoch und offenbar überaus dick. Man hatte sie auf ihrer ganzen Länge mit Putz verschalt, der an vielen Stellen abbröckelte oder vollständig abgefallen war, so daß darunter zerbrochene gelbe Ziegel zum Vorschein kamen. Auf der Oberkante der Mauer lief ein Walmdach entlang, das weit nach beiden Seiten vorkragte, um den Regen abzuleiten. Auch dieses Dach war bereits von Spalten und Rissen durchzogen. Die Mauer erweckte den Eindruck, als befinde sie sich im fortgeschrittenen Stadium einer Krankheit. Über und über war sie mit Flecken und Sprenkeln übersät. Nichtsdestoweniger erschien sie immer noch als ein unüberwindbares Hindernis, sogar für einen Erwachsenen.
    Hilary stürmte dennoch auf sie ein, wobei er sich an einer Pflanze festklammerte, die aus einem Riß in dem offengelegten Mörtel wuchs, gleichzeitig setzte er seinen Fuß auf ein Stück Putz, das am unteren Ende einer dieser Stellen, von welcher der Putz bereits abgefallen war, Halt zu bieten schien. Die Katastrophe folgte auf dem Fuße. Die Pflanze löste sich von ihrem Untergrund, und im selben Augenblick brach auch das Putzstück, auf dem Hilarys wenn auch geringes Gewicht ruhte, großflächig weg; es zerfiel auf dem Boden aus wucherndem Gras und Unkraut in mehrere kleine Stücke, neben denen sich dann auch Hilary wiederfand.
    »Hilary!« Der Schrei kam aus tiefster, im Innersten getroffener Seele.
    »Alles in Ordnung, Mary.« Hilary richtete sich entschlossen auf und weigerte sich mit derselben Entschlossenheit, in Tränen auszubrechen. »Mit mir ist alles in Ordnung. Wirklich.«
    Sie war auf ihn zugestürzt und umklammerte ihn mit aller Kraft.
    »Mary, bitte. Ich ersticke ja.«
    Widerwillig löste sich der Griff ihrer Arme.
    »Laß uns nach Hause gehen«, sagte sie.
    »Warum denn. Ich sag’ doch, ich bin völlig in Ordnung. Nichts passiert.« Letzteres allerdings wollte er selbst nicht so recht glauben.
    »Es war schrecklich «, stellte Mary mit großem Ernst fest. An diesem Tag trug sie einen Rock, eine Miniausgabe des Tweedrocks einer erwachsenen Frau, und so konnte er sehen, daß ihre Knie im wahrsten Sinne des Wortes aneinanderschlugen.
    Er legte den Arm um

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