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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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massiven Schornsteinkästen waren zerfallen und herabgestürzt. Die Eingangstür direkt vor ihnen schien in tiefen Schatten verborgen. Man konnte nicht erkennen, ob sie offen oder geschlossen war. Die Platten des Gehwegs, der auf den Eingang zuführte, versanken nahezu im feuchten Moos.
    »Ein Spukhaus«, flüsterte Mary.
    »Was ist das?« wollte Hilary wissen.
    »Weiß nicht genau«, sagte Mary. »Aber Daddy meint, daß es sie überall gibt, auch wenn viele Leute sie nicht sehen.«
    »Aber wie kann man dann eines erkennen?« fragte Hilary und sah sie ernst und ein wenig ängstlich an.
    »Nur am Aussehen«, behauptete Mary mit Nachdruck. »Wenn du es weißt, kannst du es sofort sagen. Aber es ist nicht gut, zu lange hinzusehen.«
    »Sollten wir es in die Karte aufnehmen?«
    »Ich glaub’ schon. Bin mir aber nicht sicher.«
    »Was meinst du, ob der Hund den ganzen Tag weiterbellt?«
    »Er wird aufhören, sobald wir weg sind. Laß uns gehen, Hilary.«
    »Sieh!« schrie Hilary auf und packte sie am Arm. »Da ist er! Er muß sich losgerissen haben. Wir dürfen keine Angst zeigen. Das ist das Wichtigste.«
    Seltsamerweise schien Mary dieser lebenswichtigen Ratschläge gar nicht mehr zu bedürfen. Sie stand bereits reglos und still, sie starrte das Tier mit ihren großen Augen an, als stehe sie unter Hypnose.
    Natürlich trennten sie immer noch die hohen, verschlossenen Gitter von dem Hund, der zudem die Sachlage merkwürdigerweise zu durchschauen schien und ihr auf vollkommen unhündische Weise Rechnung trug. Anstatt wild gegen das Gitter zu springen, um die beiden beißen zu können oder sich auch nur einige Streicheleinheiten zu erheischen, blieb er einfach auf der anderen Seite des Tors stehen und sah sie an, als wäge er allen Ernstes seine Chancen ab. Auch bellte er nicht mehr, sondern gab ohne Unterlaß, sehr leise zudem, ein Geräusch zwischen Knurren und Winseln von sich.
    Es war ein großes, unförmiges, gelbfarbenes Tier mit langen, schlammbespritzten Beinen, die merkwürdig schimmerten, als es sich bewegte, vielleicht um besseren Halt auf den glitschigen, halbversunkenen Steinplatten zu finden. Die gelbliche Haut des Hundes schien beinahe haarlos zu sein. Dreckig und mißfarben wie er war, glich er der Außenmauer. Sogar die Augen des Hundes waren von einem flachen, stumpfen Gelb. Hilary fühlte sich seltsam und unwohl bei ihrem Anblick; dann spürte er, wie Entsetzen ihn langsam überkam, als er bemerkte, daß Mary und der Hund sich wie unter einem Zauberbann in die Augen starrten.
    »Mary!« schrie er auf. »Mary, guck’ nicht so! Bitte, guck’ nicht so!«
    Er wagte nicht, sie zu berühren, so sehr hatte sie sich verwandelt.
    »Mary, laß uns gehen. Du hast es doch gerade selbst gesagt.« Er hatte zu weinen begonnen, und die ganze Zeit über stieß der Hund erstickte Töne aus seiner Kehle hervor, die fast wie ein leiser Gesang klangen.
    Schließlich - Hilary hatte inzwischen völlig die Fassung verloren - fiel die Spannung von Mary ab, und sie sprach wieder ganz normal zu ihm.
    »Unsinn«, sagte sie und streichelte Hilary. »Wir sind sicher vor ihm. Hast du doch selbst gesagt.«
    Er gab ihr hierauf keine Antwort. All die beschwichtigenden Überlegungen, mit denen er noch kurz zuvor das Gefühl der Gefahr zu bannen versucht hatte, hatten sich plötzlich auf entsetzliche Weise als nutzlos erwiesen. Nun konnte er sich nur noch auf den Boden fallen lassen, in Tränen ausbrechen und den Kopf zwischen seinen Knien vergraben.
    Mary kniete neben ihm nieder. »Warum weinst du, Hilary? Hier lauert keine Gefahr. Das ist ein lieber Hund, ganz bestimmt.«
    »Ist er nicht, ist er nicht.«
    Sie versuchte, ihm die Hände vom Gesicht wegzuziehen. »Warum weinst du, Hilary?«
    Man hätte den Eindruck gewinnen können, daß sie in diesem Augenblick nichts auf der Welt so sehr brauchte wie eine Antwort auf diese Frage.
    »Ich habe Angst.«
    »Wovor hast du Angst? Der Hund kann es doch nicht sein. Der ist längst weg.«
    Angesichts dieser Nachricht richtete sich Hilary langsam wieder auf und riskierte einen zaghaften Blick auf die schmiedeeisernen Gitter, wobei er sogar kurzfristig zu weinen vergaß. Kein Hund war mehr zu sehen.
    »Wo ist er hin, Mary? Hast du gesehen, wie er weggelaufen ist?«
    »Nein, ich hab’ ihn nicht so richtig weglaufen sehen «., antwortete sie. »Aber weg ist er. Und mehr interessiert dich doch nicht, oder?«
    »Aber warum ist er fort? Wir sind doch noch hier!«
    »Ich glaub’, er hatte noch andere

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