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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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Dinge zu erledigen.« Er wußte, daß sie diese Redewendung ihrem Vater abgelauscht hatte, da sie ihm das einmal gestanden hatte.
    »Hat er einen Weg nach draußen gefunden?«
    »Natürlich nicht.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Er hat ganz einfach eingesehen, daß wir keine Bedrohung sind.«
    »Ich glaube dir nicht. Das sagst du nur so. Warum sagst du das, Mary? Du hattest am Anfang noch viel mehr Angst als ich. Was ist mit dir passiert, Mary?«
    »Ich bin endlich wieder zur Vernunft gekommen, das ist mit mir passiert.« Von wem, fragte er sich, mochte sie das wohl haben? Es war so offensichtlich unaufrichtig, daß es ihn zunächst verletzte und ihm dann wieder entsetzliche Angst einjagte.
    »Ich will nach Hause«, erklärte er.
    Sie nickte; so gingen sie dann, aber nicht Hand in Hand.
    Bevor sie das Gebiet hinter sich gelassen hatten, geschah noch etwas.
    Als sie über den sanft ansteigenden, sandigen Pfad zurückgingen, hielt Hilary die Augen stur auf den Boden gerichtet, er wagte es nicht, einen Blick auf die gelbe Mauer zu seiner Linken zu werfen; und über die Schulter zurückzuschauen, fehlte ihm vollends der Mut. An jener Stelle, an welcher die Mauer im rechten Winkel nach links abfiel, stieg der Pfad ungefähr fünfzig Meter steil bis zu einem buschbewachsenen Plateau an. Sie gingen schweigend, und Hilarys überdurchschnittlich scharfe Ohren lauschten unablässig auf jedes ungewöhnliche Geräusch, das womöglich von der anderen Seite der Mauer kommen mochte. Es war jedoch nichts zu hören, was ihn um so mehr erschreckte. Als sie schon einen Teil des steilen Aufstiegs hinter sich gebracht hatten, war ihm, als höre er plötzlich doch etwas, und er konnte nicht anders, als sich umsehen.
    Und tatsächlich war dort etwas, doch Hilary sah es nur einen kurzen Augenblick.
    An dieser Ecke der Mauer gab es, auch wenn man das halbwegs erwartet hatte, keine architektonischen Besonderheiten wie einen Erker oder einen Obelisken, nur einen Knick in dem Walmdach. Doch nun sah Hilary für den Bruchteil einer Sekunde einen Mann, der an jener Stelle über die Mauer blickte. Er war nur zur Hälfte sichtbar, doch schien er groß und schlank und kahl zu sein. Hilary konnte nicht erkennen, wie er gekleidet war - falls er überhaupt bekleidet war.
    Hilary drehte seinen Kopf abrupt wieder zurück. Er brachte es nicht übers Herz, Mary seine Beobachtung mitzuteilen, jedenfalls nicht hier und jetzt.

    Indessen fühlte er sich auch später nie dazu in der Lage, überhaupt mit jemandem über das, was er gesehen hatte, zu sprechen. Zwanzig Jahre später war er einmal kurz davor, doch auch dann entschied er sich schließlich dagegen. Jahrelang nach dem Ereignis blieb unterdessen die Erinnerung daran in den Tiefen seines Bewußtseins lebendig, was auf die Geschehnisse bis zu diesem Zeitpunkt, jedoch auch auf jene, die sich bald darauf ereignen sollten, zurückzuführen war.
    Der Ausflug mußte Hilary stärker angegriffen haben, als ihm bewußt war, denn noch am selben Abend wurde er krank. Mrs. Parker stellte fest, daß er Fieber hatte. So begann es, und es dauerte mehrere Wochen, während derer zwei Ärzte und an manchen der Tage und Nächte eine unfreundliche Krankenschwester, oder auch deren zwei, um ihn waren. Außerdem sein Vater, der in jenem schulterklopfenden, gutmütig-groben Ton mit ihm scherzte, in dem man mit Schwerkranken zu reden pflegt; seine Brüder befanden sich zu dieser Zeit in Wellington. So mußte man Mrs. Parker durch die Einstellung eines drallen Teenagers mit Namen Eileen entlasten.
    Endlich fühlte sich Hilary von einem Tag auf den anderen wieder wie neu, was den Wundern der modernen Medizin, wahrscheinlich aber den altbewährten selbstheilenden Kräften der Natur zuzuschreiben war.
    »Es mag ja sein, daß du dich gesund fühlst, alter Junge«, scherzte Doktor Morgan-Vaughan, »aber du bist nicht gesund, noch nicht.«
    »Wann darf ich zurück in die Schule?«
    »Willst du denn wieder in die Schule gehen?«
    »Ja«, erklärte Hilary.
    »So, so«, murmelte Doktor Morgan-Vaughan. »Zu meiner Zeit waren kleine Jungs ganz anders.«
    »Wann darf ich wieder?« fragte Hilary.
    »Eines schönen Tages«, vertröstete ihn Doktor Morgan-Vaughan. »Das hat keine Eile. Du bist krank gewesen, mein Sohn, ernsthaft krank, und wir wollen nichts überstürzen.«
    So vergingen zwei Monate, während derer Hilary nicht die geringste Ahnung hatte, daß auch mit Mary etwas geschehen war. Er hätte sie zwar gerne gesehen, hatte

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