Glockengeläut
jetzt?«
»Verheiratet. Beide. Eigene Häuser.«
»Nette Mädchen?«
»Einigermaßen.«
»Kinder?«
»Je zwei.«
»Jungen?«
»Alles Jungen. Wir produzieren nur Jungen.«
» Nur? «
»Seit Menschengedenken hat es in der Brigstock-Familie keine Mädchen gegeben.«
»Erspart ’ne Menge Ärger«, sagte Callcutt.
»Bringt dich um ’ne Menge Spaß«, konterte Hilary.
»Nicht in dem Alter.«
» Gerade in dem Alter.«
»Wie das? Du fliegst doch nicht auf kleine Lolitas wie der alte Wie-hieß-er-doch-gleich?«
»Als ich klein war, kannte ich ein Mädchen, das mehr für mich bedeutet hat als jedes Mädchen, das ich danach getroffen habe. Mehr als jeder andere Mensch sogar. Du weißt ja, daß ich meine Mutter nicht gekannt habe.«
»Doppelter Glückspilz«, sagte Callcutt. »Nun, in gewisser Hinsicht jedenfalls. Nein, ich hätte das nicht sagen sollen. Tut mir leid. Vergiß es.«
»Schon in Ordnung.«
»Erzähl’ mir von deiner Freundin. Ich mein’ es ernst. Ich kann mir genau vorstellen, was du für sie empfunden hast.«
Hilary zögerte. Höchstwahrscheinlich hätte er Mary Rossiter nie erwähnt, wenn auch nur die geringste Aussicht auf andere Gesprächsthemen, andere Aktivitäten, andere Interessen bestanden hätte. Er hatte die ganzen zwanzig Jahre, die seit ihrem Verschwinden vergangen waren, zu niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen über sie fallengelassen, und zumindest während der zweiten Hälfte dieser Zeit hatte er nur noch selten an sie gedacht.
»Na gut, wenn du willst, werde ich es dir erzählen. So gut ich kann, obwohl nicht viel Interessantes dabei herauskommen wird, vor allem nicht für einen Dritten. Aber wir haben ja ohnehin nichts besseres zu tun.«
»Gott sei Dank!« seufzte Callcutt.
»Mir scheint, wir Brigstocks sollten in Zukunft ein wenig mehr für die Unterhaltung unserer Gäste sorgen!«
»Um Himmels willen, nein!« meinte Callcutt im Brustton der Überzeugung.
Und so erzählte Hilary zum ersten Mal einem anderen den größten Teil der Geschichte. Er berichtete, wie liebevoll Mary Rossiter gewesen war, wie sie erstaunlich lange Spaziergänge gemeinsam unternommen hatten, wie sie auf die verfallene Mauer gestoßen waren, den formlosen, kahlen Hund gehört und später dann zu Gesicht bekommen hatten, jenen Hund, der beinah die Farbe der Mauer gehabt hatte, wie sie dann das verfallene Herrenhaus oder Beinahe-Herrenhaus entdeckt hatten, das Mary spontan, wie nur kleine Kinder das können, zum Spukhaus erklärt hatte. Hilary erzählte Callcutt sogar von den Landkarten, welche die beiden zusammen entworfen hatten, und daß diese Karten nicht nur Surrey, sondern auch das Reich der Elfen und der Riesen und das Schattenland gezeigt hätten.
»Gute Vorübung für die Armee«, scherzte Callcutt.
Den hageren, wahrscheinlich nackten Mann, den er so deutlich am äußersten Winkel der Mauer gesehen hatte, erwähnte Hilary indessen mit keinem Wort. Er war, ohne darüber nachzudenken, kurz davor gewesen, auch über ihn zu sprechen, als er an diesem Punkt der Geschichte angelangt war, aber dann ging er doch über diesen Zwischenfall hinweg.
»Verdammte wilde Köter!« sagte Callcutt. »Ich kann sie nicht ausstehen. Vor allem in der Stadt. Hecheln an der Leine und verteilen ihren Dreck auf den Bürgersteigen. Ich vermute stark, daß die Besitzer Komplexe wegen ihrer Männlichkeit haben.«
»Das war wohl der widerlichste Hund, den es gibt«, antwortete Hilary. »Da bin ich mir ganz sicher.«
»Ich hasse sie alle«, entgegnete Callcutt mit schwungvoller Geste. »Sie verbreiten Krankheiten.«
»Das war noch das Mindeste bei besagtem Hund«, bemerkte Hilary. Und dann berichtete er Callcutt, so gut er es vermochte, was sich danach abgespielt hatte.
»Guter Gott!« rief Callcutt aus.
»Ich glaube, so etwas nennt man einen tollwütigen Hund.«
»Aber die Tollwut grassierte doch, als du ein Kind warst, schon lange nicht mehr. Heute zumindest ist sie völlig ausgerottet. Aber egal, was geschah mit dem Hund? Erschossen, oder?«
»Ich hab’ keine Ahnung.«
»Er wird doch wohl erschossen worden sein? So etwas kann man nicht einfach auf sich beruhen lassen!«
»Wahrscheinlich wurde er erschossen. Ich weiß es einfach nicht. Ich hätte eigentlich gar nichts von der ganzen Angelegenheit erfahren sollen.«
»Gütiger Gott, man hätte ihn wirklich erschießen sollen! Nachdem er so etwas angerichtet hatte!«
»Also, ich glaube bestimmt, daß er erschossen wurde.«
Es entstand eine
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