Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
Vom Netzwerk:
Ruhe und unseren Frieden hätten, aber ich nahm an, daß Ruhe und Frieden nicht eben das waren, was Maureen anstrebte - trotz des Durcheinanders, das vier kleine Kinder in einer recht kleinen Wohnung veranstalten können. Eines Tages beobachtete ich sie, wie sie mit den Fensterputzern plauderte, die einmal im Monat die niemals geöffneten Rahmen von außen reinigten. Sie waren froh, sich mit einer hübschen Hausfrau unterhalten zu können, die offensichtlich zu viel Zeit hatte. »Sie sagen, da drin ist nichts als Leere«, teilte mir Maureen später mit. Ich erwiderte nichts, sondern überbrückte die Gesprächspause, indem ich ihr Haar küßte oder sonst etwas in dieser Richtung unternahm. Maureen hatte zu jener Zeit, zweifellos aufgrund des Vitaminmangels während des Krieges, recht glanzloses Haar, welches sie mit einem breiten Haarreif aus Schildpatt daran hinderte, ihr ins Gesicht zu fallen. Ihre Stirn und ihre Augen waren ausgesprochen schön. Ihre Augen hatten den sanften Blick, der darauf hinzuweisen schien, daß sie dem Leben nicht gewachsen war, ein Ausdruck, der mich, wie ich später erkannte, an Frauen immer wieder angezogen hat.
    Eines Nachts verließ die zahlreiche Belegschaft des Freedom die Redaktion nicht zur üblichen Stunde, und bis zehn oder elf Uhr abends konnte ich, wenn ich mich über mein Treppengeländer beugte, sehen, wie sie eifrig große Kisten auf dem unteren Flur herumtrugen. Sie sprachen recht leise, ungewöhnlich für Ausländer, wie ich fand. Offensichtlich gab es irgendwelche Schwierigkeiten, aber aus eben diesem Grunde hätte ich es unhöflich gefunden, mich aufzudrängen oder Fragen zu stellen. Im Bett hielt mich nicht nur das fortwährende Poltern und Knirschen von unten wach, sondern auch die Vermutung, daß diese Schwierigkeiten uns andere und die harmlos-gleichgültige Art, die wir uns für das Zusammenleben unter diesem gemeinsamen Dach geschaffen hatten, ebenfalls beeinträchtigen mochten. Es war das erste Mal, daß ich jene Wahrheit erkannte, die jeglicher Weisheit zugrunde liegt, die Wahrheit, daß Veränderung naturgemäß schlecht ist, der kleine Finger an der kalten Hand der Sterblichkeit.
    Pünktlich am nächsten Morgen trafen die Handwerker ein. Sie weckten mich mit ihrem Gesang, Gepfeife, Gejohle, Gepoltere und dem unvermeidlichen Lärm auf. Sie blieben endlose drei Wochen (heutzutage würden sie es kaum in der doppelten oder dreifachen Zeit schaffen), und da ernsthafte Arbeit dadurch unmöglich war, zog ich eine Weile in das Cottage meiner Mutter. Es war dies seit meinem Umzug nach London mein erster Besuch bei ihr, der länger als ein oder zwei Tage dauerte. Am Tage meiner Abfahrt küßte ich auch Maureen zum ersten Mal lange und leidenschaftlich auf den Mund, woran ich mich noch sehr gut erinnere. Ich hatte, wenn ich ehrlich sein soll, zunächst Angst gehabt, einen derartigen Schritt zu tun, da Maureens Mann und ihre Kinder nur einige Treppen unter mir wohnten, von meinen eigenen beschränkten Verhältnissen ganz zu schweigen. Nun jedoch ließ der Bruch in meinem geregelten Tagesablauf das Ganze irgendwie weniger verbindlich erscheinen. Diese kalte Sicht der Dinge mag nicht gerade sehr einfühlsam wirken, doch die menschliche Entscheidungsfreiheit ist ohnehin viel begrenzter, als die Leute gern denken.
    Als ich in dem Cottage angekommen war, konnte ich unmöglich in dem kleinen Schlafzimmer, das jederzeit für mich bereitstand, arbeiten, denn die Schotterstraße vor dem Haus wurde gerade verbreitert und gepflastert. Sogar in dem kleinen Wohnzimmer auf der gegenüberliegenden Seite störte mich der Lärm noch, zudem mußte ich jedesmal, wenn ich die Schritte meiner Mutter hörte - was nicht eben selten geschah, denn sie umsorgte mich eifrig und hätte mich am liebsten die ganze Zeit um sich gehabt -, den Daily Chronicle über die Manuskripte breiten, die Valentine mir geschickt hatte. Schließlich zogen die rumpelnde Dampfmaschine, die rasselnde Teerkochmaschine und die unerträglich lauten Straßenarbeiter wieder ab, um andere Haushalte durcheinander zu bringen und weiter entfernt liegende Baumhecken abzusägen. »Bleib’, so lange du kannst«, sagte meine Mutter.
    Maureen hatte mir vor meiner Abfahrt mitgeteilt, daß Erdgeschoß sowie erster und zweiter Stock unseres Wohnhauses zusammen vermietet worden seien. Sie hatte eine Nase für derartige Informationen. Maureen wußte jedoch nicht, ob man die Leute vom Freedom wirklich hatte herauswerfen müssen. Man hätte

Weitere Kostenlose Bücher