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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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vermutlich einer grauen Maus, und ich glaube kaum, daß sie meine Rückkehr bemerkt hatte. Und ich hütete mich davor, die Initiative zu ergreifen. Zum einen hatte ich das noch nie getan. Zum anderen konnte ich nach meiner Abwesenheit nicht sicher sein, wie sich die Dinge entwickelten, oder ob ich überhaupt noch wollte, daß sie sich entwickelten. Und dann, an einem Morgen der ersten Woche nach meiner Rückkehr, ergriffen die Herren Stallabrass, Hoskins und Cramp, als führen sie in einer Phalanx flammender Sonnenwagen hernieder, Besitz von ihren Räumen, mit all ihrem Personal, ihrer kompletten Büroeinrichtung und ihren Akten. Ihr Einzug war so selbstbewußt, lärmend und ausgelassen, wie der Auszug von Freedom verstohlen und leise gewesen war.
    Mit einem Mal bevölkerte sich die Treppe mit kurzhaarigen Mädchen in noch kürzeren Röcken, die wie auf Jakobs Himmelsleiter auf und ab liefen, wobei sie allerdings nicht mit dem ehrwürdigen Stammvater, sondern mit den Möbelpackern kesse Worte wechselten. (Kurzes Haar und kurze Röcke waren zu jener Zeit der letzte Schrei, wobei selbst meine Mutter, die ihr Cottage auf dem Lande nur selten verließ, schon beides mitmachte.) Unter die ›himmlischen Heerscharen‹ mischten sich mehrere Herren mit weißen Hemden, steifen Kragen, dunklen Hosen und Hosenträgern. Konnten das die Teilhaber sein? Womöglich sogar Stallabrass, Hoskins und Cramp höchstpersönlich? Ihr Auftreten erweckte den Anschein, als gäben sie Anordnungen. Die Zahl der insgesamt Beteiligten übertraf die Freedom -Belegschaft um ein Vielfaches. Und an eben jenem Nachmittag klopfte auch Maureen wieder an meine Tür.
    »Warum hast du mir nicht gesagt, daß du wieder da bist?«
    »Weiß ich nicht.«
    Sie gab sich mit dieser Antwort zufrieden.
    »Was denkst du?« fuhr ich fort, wobei ich meinen Kopf schräglegte.
    Maureen verzog den Mundwinkel.
    »Glaubst du, daß es ruhiger wird?« fragte ich.
    »Warum? Soweit ich sehen konnte, sind es ganz schön viele.«
    »Mir reicht es jetzt schon.«
    Schriftsteller neigen dazu, vorschnell zu urteilen, was von der unablässigen und aufreibenden Jagd nach Frieden und Konzentration herrührt.
    »Hast du Mr. Millar schon getroffen?«
    »Nicht daß ich wüßte. Wer ist Mr. Millar?«
    »Er ist der Mann, dem das Ganze in Wirklichkeit gehört. Die Leute, deren Namen draußen auf dem Schild stehen, existieren gar nicht, oder sie sind schon tot. Ich vermute, Mr. Millar hat sie alle kaltgemacht.«
    Ich erinnere mich noch genau, daß Maureen diesen Ausdruck benutzte, der damals ebenso neu war wie kurze Haare und kurze Röcke.
    »Nicht unbedingt«, widersprach ich. »Es gibt viele dieser Firmen mit Tausenden von Namen, und keiner von den Leuten existiert wirklich.«
    » Du hast schließlich Mr. Millar noch nicht getroffen«, entgegnete Maureen.
    »Jedenfalls nicht, daß ich wüßte. Aber es scheint mir, als seien es an die Hundert Leute gewesen. Sieht Mr. Millar irgendwie besonders aus?«
    »Oh ja«, sagte Maureen. »Er sieht aus wie Cordoba, der Sex-Vampir.« Das war, wie ich vielleicht erläutern sollte, ein Stummfilm, der damals Furore machte, obwohl es mich doch ein wenig erstaunte, daß Maureen diesen Film offenbar kannte.
    »Dann reibst du dich am besten vor dem Schlafengehen mit Knoblauch ein«, schlug ich vor, und diese Bemerkung trug dazu bei, daß sich unsere Beziehung nach der Trennung besser entwickelte.

    Ich kann nicht behaupten, daß Maureens Beschreibung unseres neuen Nachbarn mich übermäßig neugierig gemacht hätte. Wie man vielleicht schon bemerkt hat, war ich ein ängstlicher und vorsichtiger junger Mann, der lieber seinen eigenen Weg ging und vor neuer Gesellschaft und neuen Verpflichtungen eher zurückschreckte. Wahrscheinlich trug das entsetzliche Zeug, das Major Valentine mir zuschickte, in hohem Maße zu meiner Kontaktscheu bei. Jedenfalls dachte ich damals, je länger ich jeglichen Kontakt mit Maureens Mr. Millar vermeiden könne, desto besser. Ich hielt nur sehr wenig davon, ›neue Erfahrungen zu sammeln‹, und habe nie daran gezweifelt, daß ich Bücher ausschließlich aus meinem eigenen Innern würde zusammenspinnen können. Ich verschwendete also keinen weiteren Gedanken an die Angelegenheit.
    Es war schlimm genug, daß die neuen Mieter Treppen und Flure okkupierten und dabei fortwährend kicherten, herumschrien und die Türen ins Schloß fallen ließen. Schon während der ersten Tage mußte ich feststellen, daß sie die Angewohnheit hatten,

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