Glockengeläut
das beurteilen?« meinte Maureen unbestimmt.
Mir fiel auf, daß Maureen mich nicht mehr danach fragte, ob ich inzwischen Mr. Millar getroffen hatte.
Ich nehme an, daß die Post, die jeden Morgen eintraf, einen Anhaltspunkt geliefert hätte, wieviel richtige Arbeit dort unten erledigt wurde.
Aber hier fand ich mich abermals im Nachteil. Schriftsteller sind nun einmal keine Frühaufsteher. Vor dem Einzug der neuen Mieter zog ich immer meinen Morgenmantel über (ein recht ausgeblichenes, nicht mehr ganz sauberes und leider zudem zerschlissenes Exemplar) und ging zu dem Bord in der Eingangshalle, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was die Leute vom Freedom von mir denken mochten; ganz gleich wie zahlreich sie in Erscheinung traten. Nun war das vollkommen unmöglich, nicht zuletzt - obwohl nicht ausschließlich - wegen der Mädchen. So mußte meine wenige Morgenpost, sogar jene schlecht verpackten Sendungen von Major Valentine, warten, bis ich mich rasiert und vollständig angezogen hatte; und zu diesem Zeitpunkt war die Post, welche die Leute von unten möglicherweise erhielten, längst abgeholt. Dies alles war um so unvermeidlicher, als ich normalerweise mein karges Frühstück bereitete, bevor ich mich rasierte und ankleidete, und auch nicht den geringsten Anlaß sah, meine liebgewonnenen Gewohnheiten wegen Mr. Millar und seiner fidelen Schar zu ändern. Wahrscheinlich wollte ich auch gar nicht genauer wissen, was dort unten vor sich ging. Ich sprach gerade von ›richtiger Arbeit‹. Ich konnte nur schwerlich glauben, daß sie damit reichlich eingedeckt waren, obwohl ich noch nicht einmal Vermutungen darüber hegte, was sie mit dem Rest ihrer Zeit anfangen mochten. Es stimmt, daß ich zu anderen Tageszeiten seltsame Briefe für die Firma fand: fast alles Drucksachen durch Ihrer Majestät Postdienst. Sie ließen, so mußte ich einsehen, auf einige Kunden schließen. Mir kam in den Sinn, wie einst ein Onkel meiner Mutter bemerkt hatte, daß »Zahlen, mein Junge, nur ein ganz kleiner Bruchteil dessen sind, womit ein erfolgreicher Steuerberater sich beschäftigt«. Und selbst bis heute weiß ich nicht, was in diesem Büro vor sich ging. Ich habe meine Eindrücke bis zu jenem Zeitpunkt so gut es geht wiedergegeben, bald jedoch schienen sich neue, bedeutendere Entwicklungen anzukündigen.
Ich glaube, es war bereits ein Monat oder mehr vergangen, als ich Mr. Millar schließlich zu Gesicht bekam. Aus unerklärlichen Gründen hatten sowohl Maureen als auch ich nicht wieder von ihm gesprochen. Plötzlich sah ich mich nicht nur gezwungen, ihm zu begegnen, sondern auch mit ihm zu reden - noch dazu unter vier Augen -, und das alles ohne die geringste Vorwarnung oder Vorbereitung.
Eines Freitags am späten Nachmittag, vielleicht gegen halb sechs, lärmte plötzlich meine Wohnungsklingel. ›Plötzlich‹ bedeutet, daß ich keine Schritte auf der Treppe vernommen hatte, die übrigens immer noch nicht mit Teppichboden ausgelegt war. Fluchend warf ich meinen Regenmantel über die Valentine-Manuskripte und sah dann nach, wer es sei. Ein Mann stand vor meiner Tür.
»Ich bin Millar.« Er machte keinerlei Anstalten, mir die Hand zu reichen, wie man es damals noch durchaus tat, und seine Augen wanderten unstet umher, sahen nie in die meinen, ebensowenig taxierte er indessen meine bescheidene Umgebung.
»Darf ich Sie zu einem Drink einladen?« sagte er. »Nur ein Stockwerk tiefer. Sie können gern jemanden mitbringen.«
Ich brauche wohl nicht eigens zu betonen, daß ich nicht die geringste Neigung dazu verspürte, aber mir fiel keine plausible Ausrede ein, und es wäre zweifellos nicht sehr weise gewesen, sich unnötig Feinde zu machen. Also sagte ich zu.
»Kommen Sie, wann es Ihnen recht ist. Zweiter Stock.«
Es schien mir dies eine etwas merkwürdige Einladung zu sein, war es doch völlig klar, daß niemand bei mir weilte, nicht einmal ein im Kleiderschrank verstecktes Mädchen. Ohne ein weiteres Wort ging Mr. Millar wieder nach unten. Ich sah, daß er sandfarbene Veloursschuhe trug, wahrscheinlich mit einer Kreppsohle. Und selbstverständlich war er wie alle anderen in Hemd und Hosenträgern.
Ich war froh, daß mir einige Minuten zur Verbesserung meines Erscheinungsbilds blieben. Man trägt gemeinhin nicht seine beste Kleidung, wenn man allein in einer Dachstube pornographische Manuskripte lektoriert; außerdem hatte ich damals die Angewohnheit, mir mit meiner Rechten (ich bin Linkshänder) durch das Haar zu
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