Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
Vom Netzwerk:
Hand sah (abgesehen von jener unerfreulichen ersten ›Party‹ bei ihm). Nichtsdestoweniger mußte er unmäßig trinken, wenn man aus der Menge des angelieferten Schnapses auf seinen Alkoholkonsum schließen konnte. Ich begann Schlimmeres, etwa ein Delirium tremens, zu befürchten, eine mir um so schrecklichere Vorstellung, als ich in dieser Hinsicht nicht die geringsten Erfahrungen besaß. Mein Großonkel (ja, wieder derselbe) hatte, ohne daß er dabei zu sehr ins Detail gegangen wäre - »nicht, solange deine Mutter noch im Raum ist, mein Junge« - diesbezüglich die gräßlichsten Assoziationen in mir geweckt. Und auch die Vorstellung, Mr. Millar tot, statt nur bis zur Bewußtlosigkeit alkoholisiert, auf der Treppe liegend vorzufinden, schien mir alles andere als attraktiv.
    Am nachhaltigsten indes irritierte mich, selbst wenn es weder besonders komisch noch besonders erschreckend war, daß Mr. Millar nun nicht mehr stille Zwiesprache mit sich hielt, sondern dazu übergegangen war, stramme Märsche zu unternehmen und jubilierend Weihnachtslieder gegen die Decke zu schmettern. Er schien in der Lage zu sein, seine Sangeskünste stundenlang, wenn auch mit Unterbrechungen, zu praktizieren, während er in die ihm eigene Hektik verfiel. Scherzte er jedoch mit seinen nächtlichen Besuchern, dann nahm der Lärm infernalische Ausmaße an. Wenn es darum ging, lauthals in irgendeinen Gassenhauer einzustimmen, war auf die Söhne krimineller, dennoch schweißtreibender Arbeit ebenso Verlaß wie auf die Töchter der Lust, die den größten Teil von Mr. Millars Bekannten auszumachen schienen. Dies brachte uns denn auch die Polizei ins Haus - selbstverständlich klingelten die Beamten bei mir. Ein anderes Mal rüttelten sie wild gegen die Außentür; den Geräuschen und dem Fußgetrampel nach zu urteilen, als sie endlich im Hausflur waren, schien es sich jedoch lediglich um ein kleineres Aufgebot zu handeln.
    Bisweilen bemerkte ich neue Irritationen. Ich vernahm hysterische Schreie aus dem Raum unter meinem Schlafzimmer und anschließend Schritte auf den Stufen zu meinem Dachgeschoß. Wenn ich auf das verzweifelte Klopfen an meiner Tür öffnete, stand ein in Tränen aufgelöstes Mädchen vor mir, zu entsetzt, um mit Worten mitzuteilen, was denn geschehen war. Ich schaute dann über ihre Schulter, während sie schluchzte, tobte und mich mit ihren Fäusten bearbeitete, um eingelassen zu werden; und am Fuße der Treppe sah ich Mr. Millar, recht unbeteiligt, wenn auch meist schon ein wenig unsicher auf den Beinen. Er sagte nie auch nur ein einziges Wort, schien ganz besorgter Beobachter zu sein, wie er da gegen das Treppengeländer gelehnt stand. Man hätte meinen können, er sei peinlich berührt und zutiefst erstaunt ob des sich ihm darbietenden Dramas, entschlossen, nicht das Risiko der Einmischung einzugehen, solange jemand anderes die Unannehmlichkeiten zu tragen hatte.
    Unter den gegebenen Umständen war es mir natürlich nicht möglich, das Mädchen hereinzulassen; so führte ich sie also meist etwas später die Treppe herunter, beruhigend auf sie einredend, ich würde sie schon sicher nach draußen auf die Straße bringen, und versuchte unterwegs erfolglos, sie aufzumuntern. Wir drängten uns dann an Mr. Millar vorbei, wobei ich bisweilen den Arm um die Schulter des Mädchens legte. Doch nie sagte er ein Wort oder machte auch nur die geringste Bewegung.
    Eine dieser vielleicht vier oder fünf seltsamen Begegnungen versetzte mich allerdings in Schrecken. Es war schon arg genug, das jeweilige Mädchen an Mr. Millar vorbeizerren zu müssen, während Mr. Millar seelenruhig dort stand und uns wortlos belauerte. Doch dieses eine Mal entdeckte ich, als ich den unteren Absatz meiner geradewegs zwischen zwei Wänden verlaufenden Stiege erreicht hatte, daß neben Mr. Millar zwei bislang hinter seiner Gestalt verborgene riesige Kerle mit Schlägermützen warteten. Sie sahen wie Rausschmeißer oder erfolglose Berufsboxer aus und verharrten genauso starr und still wie Mr. Millar. Es war nicht einfach für mich, mit dem sich sträubenden Mädchen an meiner Seite den Weg nach unten fortzusetzen, wobei ich sie gegen die Wand drängte. Schließlich jedoch gelang es mir, und wie üblich passierte auch diesmal nichts. Wenn ich nach derartigen Zwischenfällen wieder nach oben stieg, hatte Mr. Millar sich meist schon in seine Büroräume zurückgezogen und die Außentür geschlossen. Dieses Mal waren alle drei bereits verschwunden. Ich

Weitere Kostenlose Bücher