Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
Vom Netzwerk:
erwartete, daß Lärm von unten in mein Dachgeschoß heraufdringen würde, was jedoch nicht geschah.
    Einmal erinnere ich mich, war das Mädchen anders als die üblichen Damenbekanntschaften von Mr. Millar. Zitternd stand sie vor meiner schäbigen Wohnungstür und erzählte mir, sie habe Mr. Millar in Wimbledon kennengelernt und wäre, auch wenn sie wisse, daß sie es sich selbst zuzuschreiben habe, doch nie auf die Idee gekommen, es werde so sein. »Ich hatte ja keine Ahnung, daß so etwas möglich ist«, sagte sie und bohrte ihre Augen in die meinen. Sie wollte unbedingt die Polizei rufen, ich jedoch war der Meinung, das Problem ließe sich so nicht lösen und aus der Welt schaffen. Darüber hinaus hätte ich Mr. Millar bitten müssen, sein Telefon benutzen zu dürfen. So manövrierte ich sie denn auf dem üblichen Weg nach draußen, und auf der Straße hatte sie sich bereits wieder gefangen. »Es tut mir sehr leid, daß ich mich so aufgeführt habe«, sagte sie und fügte plötzlich hinzu: »Verdammt, ich hab’ meinen Mantel oben liegengelassen, einen nagelneuen Sommermantel.«
    Als ich ein oder zwei Tage später nach unten ging, um meine Post heraufzuholen, bemerkte ich, wie der männliche Teil des Personals von Mr. Millars Firma sich in dem großen Raum im Erdgeschoß damit amüsierte, ein improvisiertes Spielchen mit einem Damenmantel zu veranstalten, wobei sie im Scherz aufeinander losgingen und wild durcheinander schrien. Ich nahm an, daß es eben jener Mantel war. An seine Farbe erinnere ich mich heute noch, ein recht ungewöhnliches grünliches Gelb, ähnlich wie Mate-Tee.
    Augenscheinlich beschränkten sich die sportlichen Interessen des Unternehmers nicht nur auf Rasentennis und spontane Bürospielchen (obwohl man dazu normalerweise Papierkörbe benutzte). Jeden Tag konnte ich beobachten, daß Rundschreiben von Buchmachern und Sendungen mit ausländischen Briefmarken eintrafen - wie ich erkannte, von Spielcasino-Besitzern. (Wieder ein Erbe meines Großonkels, glaube ich.) Heute würde ich eher vermuten, daß die Rundschreiben der Buchmacher ausschließlich während der Rennsaison eintrafen und ich wohl damals dazu neigte, ihre Regelmäßigkeit zu überschätzen. Doch erinnere ich mich noch an eine ganze Reihe dieser Schreiben. Ich nehme an, daß eine Verbindung zwischen Buchführung und Wahrscheinlichkeitsrechnung, ja darüber hinaus, wie man sich vielleicht vorstellen kann, zwischen Schreibtisch und Rennbahn besteht. Ich begann, meine Spekulationen über Mr. Millars Tagesablauf leicht zu ändern: Wenn er schon erwiesenermaßen nach Wimbledon fuhr, konnte er ebensogut Pferderennen besuchen wie den Tag bisweilen einfach verschlafen.
    Manchmal kamen auch tagsüber Besucher zu Mr. Millar, die man gemeinhin als sportlich bezeichnen würde. Ich beziehe mich hier nicht auf jene abendlichen Schläger von der Straße, sondern auf Herren in Tweedanzügen, mit sorgsam zusammengerollten Regenschirmen und einem Wortschatz, der auf einige Bildung schließen ließ. Sie schäkerten für gewöhnlich lautstark mit den Angestellten der Firma, versetzten den Hinterteilen der weiblichen Belegschaft deftige Klapse und verschwanden in ihren lärmenden Sportwagen in eben dem rasanten Tempo, in dem sie ihre Auftritte absolviert hatten. Einer von ihnen war in jene bestürzende Begebenheit verwickelt, die mich schließlich dazu bewog, doch auszuziehen.
    Irgendwie war dieser Mann einzigartig. Der Lärm, den sein Wagen machte, war ebenso ohrenbetäubend wie unverwechselbar. Ich hörte ihn bereits von ferne. Wenn er dann angekommen war, ging er sofort entschlossen nach oben. Er begab sich immer unverzüglich in Mr. Millars Privatquartier im zweiten Stock. Dort öffnete er laut und umständlich Mr. Millars Außentür, wozu er offensichtlich einen Schlüssel seines eigenen Bunds benutzte. Dann trat er ein, und ich hörte, wie er geräuschvoll eine oder zwei Minuten lang einige Gegenstände herumrückte, den Raum verließ, die Tür wieder verschloß und die Treppe herunterging. Die gesamte Vorstellung bis hin zu dem abschließenden Motorendonner seines sich entfernenden Wagens war regelmäßig durch Fenster, Tür und Decke deutlich hörbar.
    Ursprünglich nahm ich an, es sei Mr. Millar persönlich, der sich auf solch unüberhörbare Weise ankündigte und verabschiedete, Mr. Millar, der irgend etwas vergessen hatte oder sich lediglich vergewissern wollte, wie die Dinge standen. Bis ich dann eines Tages dem Fremden von Angesicht zu

Weitere Kostenlose Bücher