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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Aickman
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Angesicht gegenüberstand. Sein Auto dröhnte näher, als ich gerade das Haus verlassen wollte, und herein stürmte ein rundlicher, rotgesichtiger, stämmiger Mann in grünem Anzug, auf dem Kopf ein grünes Tweedhütchen. Er warf die Eingangstür schwungvoll auf und verpaßte mir dabei einen kräftigen Stoß, der mich gegen die Wand warf und meinen Ellbogen, wie ich erst später feststellte, so nachhaltig abschürfte, daß ich mich in den folgenden Tagen mit dem Schreiben schwertat. Bevor ich noch irgend etwas sagen konnte (wenn mir überhaupt etwas Passendes eingefallen wäre), war er auch schon auf dem Weg in den zweiten Stock. Da ich wußte, daß ich von den umstehenden Firmenangehörigen nur hämisches Gelächter statt Mitgefühl zu gewärtigen hatte, hielt ich es für das beste, meinen Weg fortzusetzen, als sei nichts geschehen.
    Während all der Zeit, die ich am Brandenburg Square wohnte, verbrachte ich fast jedes Wochenende bei meiner Mutter. Bei den wenigen Gelegenheiten, die ich dann doch in London blieb, um eine Terminarbeit zu Ende zu führen oder den Samstag mit einem Freund zu verbringen, hatte es sich, so dachte ich jedenfalls, eingebürgert, daß Mr. Millar mir das Terrain stillschweigend überließ, wie man das von einem einigermaßen höflichen Mitmenschen erwarten durfte. Ich vermutete, daß er sich in jenes mir schwer vorstellbare ›Heim‹ zurückzog, das er bei unserem gemeinsamen Sherry erwähnt hatte.
    Einige Zeit (ich weiß nicht mehr genau, wie lange) nach meiner ersten Begegnung mit jenem sportlichen Mann im grünen Anzug stand erneut eines der Londoner Wochenenden an. Ich glaube, meine Mutter war verreist, um, wie mehrmals im Jahr seit dem Tode meines Vaters, einige Zeit bei der Stiefschwester meines Vaters in Frinton zu verbringen. Mittlerweile hatte ich davon Abstand genommen, während jener seltenen Millar-freien Wochenenden Leute einzuladen, so beunruhigend war die Atmosphäre in dem Haus geworden. Und an eben diesem Wochenende war es wohl auch ganz gut, daß ich es nicht getan hatte. Alles blieb gewohnt still in jener Samstagnacht, während ich über irgendeinem Schund brütete. Doch nachdem ich ziemlich spät zu Bett gegangen war, wurde ich durch Geräusche geweckt, die jemand in dem Geschoß unter mir verursachte.
    Mein erster Gedanke war, daß die Lautstärke der Geräusche nicht ausgereicht haben dürfte, um mich zu wecken. Dann kam mir zu Bewußtsein, daß es eine jener Nächte von Samstag auf Sonntag war, in denen es in dem Stockwerk unter mir gar keine Geräusche hätte geben dürfen (wie ich dachte). Ich nahm an, daß mein Unterbewußtsein an dieser Tatsache Anstoß genommen und Alarm geschlagen haben mußte. Ich fürchtete mich ohnehin, doch diese Überlegung ließ meine Angst noch wachsen.
    Diese Geräusche glichen so gar nicht dem üblichen Lärmen und Türenschlagen. Ich konnte sie nur schwach ausmachen und fragte mich bald, ob ich nicht einer Einbildung aufgesessen war, einem blinden Alarm meiner Ohren, oder einer Fehlreaktion meiner Nerven. Gleichwohl schienen mir diese Erklärungen wenig überzeugend, als ich dort lag, zur Reglosigkeit erstarrt, und horchte, während der schwache Schein, der von der Straßenlaterne bis zu mir heraufdrang, mein kleines Schlafzimmer von der unendlichen Finsternis um mich zu trennen schien. Ich fragte mich, ob es sich nicht etwa um einen ganz gewöhnlichen Einbrecher handeln konnte. Ich vermochte gerade eben die Zeitanzeige auf meiner Uhr zu lesen: zehn Minuten nach drei.
    Es war meine Pflicht, irgend etwas zu unternehmen.
    Ich versuchte mich zu entspannen und überwand mich dazu, aus dem Bett zu steigen. Ich ergriff überflüssigerweise den Schürhaken. (Zu jener Zeit besaßen die Dachgeschosse in London City immer noch offene Kamine.) Ich öffnete die Tür zu meinem Wohnzimmer, in dem es dunkler war als im Schlafraum, allerdings wiederum nicht so dunkel, daß ich nicht zur Tür, wo sich der Lichtschalter befand, gelangen konnte. Ohne Licht zu machen, öffnete ich die Wohnungstür. Ich schaute meine in nächtliche Dunkelheit getauchte Stiege hinunter. Wenn weiter unten irgendwo Licht brannte, konnte ich von hier oben immer einen feinen Schimmer erkennen. Aber es gab dort unten kein Licht.
    Ich bemerkte, daß ein Geruch zu mir hoch drang. Er war dort, wo ich stand, sehr schwach, aber nichtsdestoweniger überaus beißend und durchdringend. Ich muß zugeben, daß mir unwillkürlich das Wort ›Leichengeruch‹ in den Sinn kam, kaum daß ich

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