Gloriana
der Herbst würde ihn kühler vorfinden?« fragte
die Königin.
»Wenn er freundlich behandelt wird.«
»Ich habe ihm in meinem Leben viel Platz eingeräumt, Sir Thomasin.«
»In der Tat, Majestät. Er wiederum hat sich mit Leib und
Seele Eurem Wohlergehen verschrieben.«
»Um des Reiches willen.«
»Und aus Zuneigung, Majestät.«
»Dennoch heißt er jeden anderen, der mir Freundschaft bezeigt, einen Verräter. Die Gräfin von Scaith. Dr. Dee. Kapitän Quire. Sie alle verfolgt er mit seiner Eifersucht. Lady Mary Perrott wurde von ihm keineswegs hochgeschätzt. Soll ich um das Leben jeder Person fürchten, die mir nahesteht, Sir Thomasin?«
Ffynne war entsetzt. »Ihr meint nicht, Majestät, daß er eine solche Schuld auf sich nehmen würde. Scharfrichter zu spielen …«
»Er scheint geneigt, die Schuld auf mich zu schieben«, murmelte Gloriana. »Ererbte Schuld ist eine Sache. Ich habe sie während meiner Kindheit getragen und trage sie noch jetzt. Ich bin ärgerlich über jede neue Schuld, die man mir anlastet, Sir. Euer Freund, unser Lordkanzler, beschuldigt mich, indem er meine Freunde beschuldigt. Ist das die Loyalität, die ich ihm erwidern soll?«
»Er trägt eine schwere und vielfache Bürde, Majestät, die er
mit niemandem teilen kann. Er erleichtert Eure Last in man
cherlei Weise.«
»Wie? Sagt mir, in welcher Weise.«
Tom Ffynne geriet in Verwirrung. »Ich weiß es nicht, Majestät. Ich beziehe mich auf die Staatsgeschäfte im allgemeinen.« »Die Staatsgeschäfte sind Teil seiner Natur. Er hat Freude an seinen Plänen.«
Der Admiral konnte dies nicht leugnen. Er warf Quire einen bittenden Blick zu, wie wenn er hoffte, der Mann werde ein Wort für den Lordkanzler einlegen, aber Quire stand auf, ging um die Couch und blickte aus dem Fenster über die blühenden Gärten hin, die raschelnd ihr Rad schlagenden Pfauen, die blumengesprenkelten Wiesenflächen, auf denen schwerfällige Leguane sich in der Sonne räkelten. Er spielte den Fremden, der durch das Ansinnen in peinliche Verlegenheit geraten ist. Tom Ffynne spürte aufkommenden Ärger, war aber rasch wieder versöhnt. Warum sollte Quire sich für Montfallcon einsetzen, der ihm ein unversöhnlicher Feind war und, wie Ffynne meinte, über den Verlust eines Dieners zürnte, der nun sein tatsächlicher Herr zu werden drohte.
Dr. Dee war sich bewußt, daß seine Bemerkung als Heuchelei aufgefaßt werden möchte, aber er machte sie gleichwohl: »Sollte Lord Montfallcon unter Schlafstörungen leiden, wäre ein Beruhigungsmittel hilfreich … Ich habe ein Rezept, einen wahren Zaubertrank …«
»Ihr meint, Lord Montfallcon würde aus Euren Händen einen Zaubertrank annehmen, mein ahnungsloser Weiser?« Königin Gloriana lachte nachsichtig. »Oh, ich denke, da irrt Ihr!« Quire wandte sich vom Fenster zurück und öffnete den Mund, etwas zu sagen, als die Tür aufging und der Lakai den Lordkanzler ankündigte.
Gloriana zögerte. Sie blickte hilfesuchend zu Tom Ffynne, der selbst hilflos war. Ihre alte Loyalität, ihr gutes Herz und die Konvention bezwangen sie. »Er mag eintreten.«
Lord Montfallcon schritt in den Raum, gekleidet in sein würdevolles Schwarz, die goldene Amtskette um den Hals, der alte, eisengraue Kopf blasser als gewöhnlich. Er stand vor ihnen, als wäre er der Tod selbst, der ihnen einen Besuch abstattete. Argwöhnisch blickte er von Gesicht zu Gesicht, dann
verneigte er sich vor der Königin, hielt aber Distanz.
»Ingleboroughs Hinscheiden war natürlich, wie es scheint«, sagte er.
»Richtig, Milord«, antwortete die Königin und neigte den Kopf zu John Dee. »So haben wir gehört.«
»Heutzutage tut man gut daran, sich zu vergewissern«, sagte Tom Ffynne, um seinem Freund zu Hilfe zu kommen. »Heutzutage, sehr wahr.« Montfallcon faßte Quire scharf ins Auge, was die Königin verdroß. Sie erhob sich. »Milord?« sagte sie ungeduldig. »Was gibt es noch?«
»Bin ich in eine private Besprechung eingedrungen?« sagte Montfallcon zögernd. Er sah außer Ffynne keinen Verbündeten, und selbst dieser war dem Anschein nach ein unsicherer Parteigänger. »Mein Geschäft ist dringend, Majestät.« »Dann sagt uns, was es betrifft.« Sie blickte zu Quire, während sie sprach, und der Kapitän blickte zurück.
»Es betrifft Eure öffentlichen Pflichten, Majestät. Ich muß Vorbereitungen treffen. Da die Gräfin von Scaith nicht länger als Eure Sekretärin wirkt, muß ich die Rolle übernehmen, denke ich. Es sei denn, Ihr … es sei
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