Gloriana
daß immer der Anschein entstanden war, als müsse er den Zauberer ohne eigenes Verschulden enttäuschen. Vielleicht ließ es sich auch diesmal machen, aber er hatte wenig Zeit für seine schlaue Rhetorik. Er mußte das Gift bekommen, Alys geben und zur Königin zurückkehren, bevor er vermißt wurde. Dieser Soldat der Stadtwache war ein gefährlicher Zeuge, der nicht am Leben bleiben durfte: Er war imstande, Quire als einen Mörder zu identifizieren, und nun, da Sir Christopher tot war, brauchte Montfallcon keine Umwege zu beschreiten. Quire konnte einfach angeklagt, durch Zeugenaussage überführt und wegen eines einfachen Verbrechens verurteilt werden. Was immer er zu seiner Verteidigung vorbringen würde, man würde es als einen Versuch auslegen, seinen Kopf zu retten.
Quire war sich seiner besonderen Stellung bewußt, die Montfallcon daran hindern würde, die Palastwache gegen ihn zu gebrauchen, aber er war der Erfüllung seiner Ziele zu nahe, um das Risiko einzugehen. Und der Tod eines gewöhnlichen Soldaten der Stadtwache würde kein Aufsehen erregen. Wenn nötig, wäre es ein leichtes, den Leichnam verschwinden zu lassen.
Er erreichte Dr. Dees Wohnung und klopfte an die Tür. In der Wohnung wurden vorsichtige Geräusche hörbar. Ein kleines Gitter wurde geöffnet. Dees ein wenig blutunterlaufene Augen schauten heraus und verloren einen Teil ihres Argwohns, als der Hofastrologe seinen Wohltäter erkannte. »Kommt herein, Sir! Ich machte sie gerade bereit. Ich fürchte allerdings, daß ich die Stärke des Zaubertranks vermehren muß. Es wird ein wenig schwierig, sie zu beherrschen. Seht her!« Schmunzelnd zog er sein Hemd auseinander. »Sie hat mich am Hals gekratzt. Vielleicht könnt Ihr mir helfen, Kapitän Quire, wie Ihr mir früher geholfen habt?«
Quire zeigte anteilnehmende Sorge. »Freilich, Doktor. Ich will gern tun, was in meinen Kräften steht.«
»Sie ist die wunderbarste Schöpfung. Ich habe niemals eine so vollkommene Nachahmung gekannt. Aber ich habe Euch das schon oft gesagt. Unsere eigene Wissenschaft hat nicht die Mittel, ein solch vollkommenes, beinahe menschliches Geschöpf hervorzubringen. Nun, Euch ist bekannt, wie es mir mißlang. Wie Meister Tolcharde vom Mißerfolg entmutigt wurde. Ihr versteht, daß ich mich keineswegs über irgendein geringfügiges Versagen bei Euch beklagen würde, aber …« »Ich verstehe, sie wird wild.«
Dr. Dee nickte seufzend. »Sie ist nicht zahm, Sir. Nicht länger. Und sie ist sehr kräftig.«
»Ich werde tun, was ich kann. In der Zwischenzeit rate ich Euch zur Vorsicht.«
»Ach, sie ist so lieblich! Unwiderstehlich. Sollte sie mich töten, Sir, ich würde glücklich sterben.«
»Ich kam in einer anderen Angelegenheit, Dr. Dee. Auch ich brauche Hilfe. In den Wänden hat es Unruhe gegeben. Ein Verrückter hat ein Rudel von Raufbolden um sich geschart und wird zu einer Bedrohung. Der Verrückte muß beseitigt werden.«
»Getötet? Beim Zeus! Wer ist er? Sind wir in Gefahr?«
»Es gibt eine Möglichkeit, ihn zu bezwingen. Durch List. Aber ich brauche mehr von diesem Gift, das Ihr mir schon einmal überlassen hattet. Das so schwierig nachzuweisen ist.« Dee nickte. »Gut. Ich habe noch etwas davon. Aber warum sollte es notwendig sein, einen Verrückten mit Gift von dieser Art zu beseitigen? Jedes einfache Gift würde den gleichen Zweck erfüllen, wenn er vergiftet werden muß. Ich würde es für das Beste halten, wenn er kurzerhand niedergemacht würde, Kapitän Quire. Ihr könnt mit dem Degen umgehen, Sir, das sehe ich Euch an.«
»Der Mann ist mißtrauisch, wie nur Verrückte es bisweilen sind«, antwortete Quire. »Ich muß das Gift rasch haben.« Dee zögerte, alarmiert von Quires Benehmen. »Ich denke …«
Er brach ab und wurde besorgt. »Ihr werdet mir mit ihr hel
fen?«
»Sobald mein Geschäft erledigt ist.«
»Ihr versprecht es mir, Kapitän?«
»Ich habe Euch Gutes getan, Doktor, und wenige Gefälligkeiten erbeten.«
»Ihr seid ein sehr kluger Philosoph, Sir, das weiß ich.« Nach einem Augenblick setzte er zweifelnd hinzu: »So nehme ich an, daß Eure Geschäfte nicht verderblich sein können.« Nachdem er sich solchermaßen selbst überzeugt hatte, ging Dee zu seinem Arzneischrank, öffnete ihn, nahm eine Phiole heraus und gab sie Quire. »Ihr werdet bald wiederkommen?«
»Wie ich versprach. Und vergeßt nicht – seid vorsichtig, Doktor.« Quire drückte ihm zum Abschied warm die Hand und eilte hinaus. Seine Stimmung begann sich zu
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