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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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ihr. Das arme Geschöpf war vollständig verwirrt. Und diese Kleider! Das Werk eines kranken Entwerfers von Maskenkostümen, der aus demselben Irrenhaus entwichen war!«
    »Ich zweifelte nicht an ihr, Majestät, obgleich ich zugebe, daß sie in einer ganz gewöhnlichen Weise verwirrt schien. Ihre Behauptungen und Ideen waren wohlbekannte Täuschungen.« »Wo ist sie jetzt?« fragte die Gräfin von Scaith.
    »Sie schloß sich einer Truppe wandernder Schausteller an, meine ich, starb aber in der Nähe von Lincoln.«
    Una stützte den Ellbogen auf die samtgepolsterte Lehne ihres Stuhles, das Kinn in der Hand.
    »Und Euer deutscher Kaiser?« erkundigte sich die Königin, während sie Patch mit einer Handbewegung zu verstehen gab, sich zu Füßen des Thrones auf das Podest zu setzen. »Weilt er noch unter uns?«
    »Karl der Große, Euer Majestät? Als er erkannte, daß niemand an seine wahre Identität glauben wollte, beging er Selbstmord. Mir gefiel er am besten von allen. Ein prachtvoller Mensch, sehr interessiert an Alchimie und Geographie. Wie es scheint, brachten ihn seine alchimistischen Experimente hierher. Ein Gelehrter von eigener Art. Er behauptete, Herrscher über das Abendland gewesen zu sein.«
    Die Königin lächelte und legte einen Finger an die Lippen. »Still, Dr. Dee, daß Lord Montfallcon Euch nicht höre. Haltet uns über Eure Experimente auf dem laufenden.«
    »Das werde ich tun, Majestät.« (Ach, es gibt nur ein Experiment, das ich vor meinem Tode noch ausführen muß! Ein Instrument zu spielen. Ich werde dich singen machen wie Orpheus’ Harfe …) »Und ich danke Euch für Euer Interesse.« »Wir sind immer an Forschungen interessiert, die unsere Kenntnis der natürlichen Welt erweitern können, aber Ihr müßt achtgeben, Dr. Dee. Es mag ein wahrer Kern in Lord Montfallcons Warnungen sein. Ein Dämon könnte von einer dieser anderen Welten herbeigerufen werden, den zu beherrschen wir nicht imstande sein möchten.«
    »Wagt Euch nicht zu weit ins Märchenland, ohne uns wissen zu lassen, wohin Ihr geht, Sir«, flüsterte die Gräfin von Scaith mit freundlichem Lächeln hinzu. »Und vertraut Euch nicht allzu bereitwillig den wackligen Vorrichtungen des Thane von
    Hermiston an.«
    »Oder den mechanischen Drachen seines Freundes, des Meisters Tolcharde!« sagte Gloriana lachend. »Der arme Tolcharde! Er arbeitet so mühevoll an seinen Spielzeugen. Mehrere Räume mußte ich für ihre Lagerung bereitstellen. Und er macht mehr und mehr! Seht Ihr nicht das Teleskop, Dr. Dee, das Tolcharde zum Studium der Bewohner des Mondes anfertigte? Ihr Verhalten war außergewöhnlich und, wie ich zugebe, für eine Weile recht unterhaltsam, doch verlieren solche Dinge allzu rasch ihren Reiz. Seither habe ich von Plänen gehört, eine Flugmaschine zu bauen, die ihn dorthin tragen soll.«

»Um Meister Tolcharde Gerechtigkeit widerfahren zu lassen«, sagte Dee, »will ich nicht verschweigen, daß er mir in bestimmten Angelegenheiten nützliche Hilfe geleistet hat. Er besitzt beträchtliches Geschick als Handwerker und kann beinahe alles machen, was ich benötige.«
    »Er lebt nur, um mehr und mehr phantastische Vorrichtungen zu ersinnen und anzufertigen«, sagte Una. »Ob sie gebraucht werden oder nicht, gilt ihm gleich. Die Königin nimmt die Geschenke an, bewundert sie und läßt sie in die Lagerräume bringen. Meister Tolcharde ist zufrieden, wenn er neue machen kann. Mittlerweile muß es Dutzende von mechanischen Vögeln und Tieren geben – jedes ausgeklügelter und kunstvoller als das vorausgegangene!«
    Dr. Dee sammelte seine Kartenrollen auf. Sein Gesicht war gerötet, und Schweißtropfen sickerten in seinen Bart. »Ich hatte nicht die Absicht, mich über Meister Tolcharde allzusehr lustig zu machen«, sagte die Gräfin. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich respektiere seine Geschenke …« »Ist Euch nicht gut, Dr. Dee?« fragte die Königin besorgt. »Gut? Freilich, Majestät, ist mir gut …« »Ihr habt ein Fieber?«
    »Nein, Majestät. Vielleicht ist es die Wärme. Meine Räume sind kühler.«
    »Werden Sie heute mit uns zu Abend essen?«
    »Mit Eurer Erlaubnis, Majestät.« Er verneigte sich und murmelte mit halberstickter Stimme: »Oh, Majestät …« »Dr. Dee?«
    »Ich bedanke mich. Bis zum Abendessen, Majestät!« Mit Mühe gelang es ihm, seine Stimme unter Kontrolle zu bringen und seine gefährlich aufwallenden Gefühle zu beherrschen. Mit wehendem Umhang floh er aus dem Audienzsaal und eilte mit

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